Bittere Mandeln
ansah, wurde mir klar, daß ich trotz meiner Wut interessiert war. Besonders, wenn er die Rechnung übernahm.
7
In dem für meinen Geschmack enttäuschend gewöhnlichen und ziemlich hellen izakaya wimmelte es von Leuten. Studenten und junge Büroangestellte beiderlei Geschlechts drängten sich in den Nischen, und vor ihnen auf den Tischen standen Bierflaschen und kleine Teller mit Grillsardinen und Reisbällchen. Wir mußten wie alle andern auch in einer Schlange im Vorraum warten. Da nützte es nichts, daß ich mit dem Sohn eines der zehn reichsten Männer von Japan dort war.
Takeo nahm es gelassen und holte eine Packung Mild Sevens aus seiner Jackentasche.
»Zigarette?« fragte er.
Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Es überrascht mich, daß Sie rauchen. – Bei Ihrem Engagement für den Umweltschutz …«
»Die Nicotiana ist eine wunderbare Pflanze. Während meines Gartenbaustudiums in Kalifornien habe ich begonnen, mich mit ihr zu beschäftigen. Aber Sie haben recht: Rauchen ist eine schlechte Angewohnheit. Ich versuche schon eine ganze Weile, damit aufzuhören.«
Fünf Minuten später führte uns eine Kellnerin mit gepiercter Augenbraue durch den lauten vorderen Teil des Lokals nach hinten, wo wir die Schuhe ausziehen mußten, bevor wir die tatami- Matten betraten. Die niedrigen Tische waren aus Kiefernholz, und man saß auf blau-weißen Kissen. Dieser Teil des izakaya war deutlich angenehmer als die Nischen vorne, aber es war mir peinlich, aus den Schuhen zu schlüpfen, denn dann sah man, daß ich keine Strumpfhose trug. Also zog ich die Füße hastig in der traditionellen seiza -Position unter meinen Körper und beobachtete Takeo dabei, wie er leger im Schneidersitz Platz nahm. Männer konnten sich so etwas erlauben.
»Ist das hier Ihre Stammkneipe aus der Unizeit?« fragte ich.
»Nein. Offen gestanden, bin ich noch nie hier gewesen. Ich bin bloß immer an dem Lokal vorbeigegangen.«
»Dann frage ich Sie wohl lieber nicht, was Sie mir empfehlen können.« Ich warf einen Blick auf die plastikverschweißte Speisekarte.
»Können Sie denn Japanisch lesen?« fragte er, aufrichtig interessiert.
»Klar«, schwindelte ich. Zum Glück waren genug der Gerichte in hiragana geschrieben, so daß ich eins davon auswählen konnte. »Ich glaube, ich nehme das yakitori mit grünem Paprika und Frühlingszwiebeln. Würden Sie sich eine große Flasche Kirin mit mir teilen?«
Takeo wirkte verblüfft. »Es ist sehr japanisch, den Geschmack seines Begleiters zu erraten. Wenn man das schafft, ohne vorher zu fragen, ist das sehr gut.«
Ich lächelte und ließ ihm seine Freude. Welches Bier er trank, wußte ich, weil ich ihn zusammen mit Che gesehen hatte.
Takeo sagte der Kellnerin, was ich wollte, und bestellte für sich selbst eda-mame. Als er sah, wie meine Augen bei der Erwähnung des Gerichts, leicht gedämpfte Sojabohnen noch in der grünen Schote, leuchteten, bestellte er eine doppelte Portion.
»Sie sind also Vegetarierin«, sagte er.
»Nun, ich esse auch Fisch. Aber lieber in einem Lokal mit ein bißchen mehr …«
»Klasse«, führte er den Satz für mich zu Ende. »Ihnen ist es hier also nicht gut genug. Das tut mir leid. Aber ich wollte mich über den Vorfall neulich allein mit Ihnen unterhalten.«
»Ach«, sagte ich, um Zeit zu schinden.
Takeo schwieg. Kurz darauf wurden unsere Speisen und Getränke serviert. Takeo goß das bernsteinfarbene Bier mit einer gekonnten Drehung des rechten Handgelenks in mein Glas. Diese Bewegung war so förmlich, daß sie mich ein wenig an die Teezeremonie erinnerte.
»Die Sache ist einfach unfaßbar. Ich kann’s noch gar nicht glauben, daß sie nicht mehr bei uns ist«, sagte Takeo. Es war absolut klar, von wem er sprach.
»In welchem Verhältnis standen Sie denn zu Sakura?« fragte ich, als ich spürte, daß er den nächsten Schritt von mir erwartete.
»Es war sehr eng. Nach dem Tod meiner Mutter gehörte sie praktisch zur Familie.«
Diese Information überraschte mich so sehr, daß ich ein wenig Bier verschüttete, als ich das Glas zum Mund hob. »Das tut mir leid«, sagte ich, da mir nichts Besseres einfiel. »Das mit Ihrer Mutter wußte ich nicht.«
»Es ist ja auch schon zweiundzwanzig Jahre her«, sagte er. »Ich war damals erst sechs.«
Also war er genauso alt wie ich. Zu der Zeit war meine Tante Ikebana-Schülerin gewesen. Warum, fragte ich mich, hatte sie mir nichts vom Tod Mrs. Kayamas erzählt?
»War es ein Autounfall?« In Japan war das die
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