Bittere Mandeln
Versammelten.
»Ihre freundlichen Worte sind in dieser Zeit der Trauer ein großer Trost, Koda-san. Ich wünschte, unsere Sakura-san wäre bei uns. Lassen Sie uns gemeinsam einen Blick auf die Arbeiten werfen. Beginnen wir mit dem Gedächtnisarrangement. Wer hat es gemacht?«
»Wir beide«, sagte Mrs. Koda leise und deutete dabei auf Natsumi und sich selbst. Natsumi verzog das Gesicht zu einem gekünstelt demütigen Ausdruck und verneigte sich ebenso tief wie Mrs. Koda. Es war schon merkwürdig, sich vor dem eigenen Vater zu verbeugen, und noch merkwürdiger, die eigene Arbeit vor einigen Dutzend Leuten von ihm beurteilen zu lassen.
Ich betrachtete die Anordnung von Sakuras schwarzen Rohren, die nun nicht, wie im Kurs, lagen, sondern aufrecht standen. Weiße Magnolien mit zartrosafarbenen Kirschblütenranken wuchsen daraus gen Himmel. Das Ganze wirkte wie ein Märchenwald, der aus Fabrikschornsteinen sprießte.
»Dies ist natürlich nur ein unbeholfener Versuch, an die Anmut von Sakura-sans Arbeiten zu erinnern. Wir bitten um Verzeihung für unser unzureichendes Arrangement«, murmelte Mrs. Koda.
Der iemoto ging ganz um das Gesteck herum. Dabei klatschten seine Sandalen leise auf den glänzenden Kiefernholzboden.
Als er wieder auf der Vorderseite angekommen war, wandte er sich mit sonorer Stimme an uns alle: »Wenn man einen geliebten Menschen verliert, ist das, als sei der Winter gekommen. Plötzlich senkt sich eine Benommenheit, ein Gefühl unerträglicher Kälte, herab. Sollte ein Arrangement, das an einen Todesfall erinnert, daher vielleicht ohne Blätter und schöne Blumen auskommen?« Er machte eine Kunstpause. »Nein, dem ist nicht so. Wenn man sich an die Anmut und den Stil Sakuras erinnert, denkt man an das Motto unserer Schule ›Wahrheit in der Natur‹. Aber das bedeutet nicht, daß die Natur nicht auch etwas Phantastisches haben kann. Dieses Arrangement hier bringt das Überirdische der Ikebana-Kunst zum Ausdruck, an dem Sakura-san so sehr gelegen war.«
Die Anwesenden murmelten zustimmend
»Aber«, fuhr der iemoto fort, »meine Tochter muß noch viel lernen. Sie hätte Kirschzweige wählen sollen, die noch nicht aufgeblüht sind. Weil sie sich für Zweige entschieden hat, die bereits heute vollkommen sind, werden die Gäste morgen das Nachsehen haben.«
Natsumi lächelte, als sei sie dankbar für die Kritik, und verbeugte sich gleichzeitig mit Mrs. Koda. Es war bemerkenswert, daß der iemoto seine Tochter und nicht Mrs. Koda für die Schwächen des Arrangements verantwortlich gemacht hatte. In Japan entsprach es der Tradition, in der Öffentlichkeit geringschätzig über die eigenen Kinder zu sprechen. Allerdings fragte ich mich, ob der iemoto nicht besonders schwer zufriedenzustellen war. Takeo zum Beispiel hatte einen umweltfreundlicheren Ansatz für die Schule vorgeschlagen, aber kein Gehör gefunden.
Der iemoto ging zum nächsten Arrangement, das Mari Kumamori, die von mir bewunderte Töpferin, gemacht hatte.
»Kumamori-san, darf ich fragen, ob Sie diese Gefäße gefertigt haben?« erkundigte sich Masanobu Kayama.
Mari Kumamori stand bereits mit gesenktem Kopf da. Als sie die Worte des Schulleiters hörte, neigte sie ihn noch weiter, bis ihr Kinn auf ihre Brust stieß. Die Gelenkigkeit höflicher Frauen war wirklich erstaunlich.
»Was für eine begabte Handwerkerin Sie doch sind. Die Gefäße sind vom Bizen-Stil beeinflußt, aber ihre Verwendung hier beweist tiefes Verständnis für moderne Darstellungsformen. Nichts ist zu wertvoll, um als Gefäß für unsere Blumen zu dienen«, sagte er, und ich freute mich für Mari.
»Doch zugleich ist nichts so wertvoll, als daß man es nicht auch verändern könnte.« Masanobu Kayama nahm vorsichtig die Ranken aus dem ersten Gefäß des Arrangements. Dann flüsterte er Natsumi etwas ins Ohr, die in den Korb an ihrem Arm griff und ihm ein kleines Handtuch reichte.
Der Schulleiter breitete das Handtuch auf dem glänzenden Holzfußboden aus und stellte dann das Gefäß darauf. Hatte er Angst, er könnte Wasser auf den Boden verschütten? Ich hatte Mari beim Arrangieren ihrer Installation zugesehen und wußte deshalb, daß sich in dem Gefäß kein Wasser befand. Die Sorge des iemoto war also völlig unnötig.
»Den Hammer«, sagte Masanobu Kayama zu seiner Tochter. Sie holte ein Werkzeug mit Stahlkopf aus dem Korb, das ich nicht unter den Utensilien eines Ikebana-Künstlers vermutet hätte.
Masanobu Kayama holte aus und zerschmetterte Mari
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