Bittere Mandeln
Wohl erkundigte. Als mir einfiel, was Norie über die Ehe Erikos und ihre finanziellen Nöte gesagt hatte, fügte ich hinzu: »Danke für die wunderschönen weißen Rosen. Was für ein Luxus.«
»Ich habe sie dir schon ins Krankenhaus mitgebracht, doch da warst du noch zu krank, um sie wahrzunehmen. Aber sieh dich in diesem wunderbaren Raum um! Blumen von so vielen besorgten Freunden – sogar von Takeo Kayama.« Eriko schenkte mir ein kleines strahlendes Lächeln.
Offenbar hatte meine Tante sich bei ihr über Takeos Besuch beklagt. Nervös sagte ich: »Ach, das hat gar nichts zu bedeuten.«
»Nur, weil deine Tante es nicht möchte.« Eriko wandte ihren wissenden Blick nicht von mir ab. »Würdest du dich gern später darüber unterhalten? Ich weiß, wie schwierig japanische Verwandte manchmal sein können.«
»Ich komme schon zurecht. Da gibt es nichts zu reden.« Als ich ihr Angebot ausschlug, fühlte ich mich niedergeschlagen, obwohl ich nicht so recht wußte, warum.
Der Kurs war eine Stunde später zu Ende. Nachdem Norie die Möbel wieder an ihren alten Platz gerückt hatte, rollte sie meinen Futon aus, so daß ich mich hinlegen konnte. Ich schlief den ganzen Nachmittag. Als ich aufwachte, war es schon fast Abend. Tante Norie nutzte das schwache Licht des andon für eine Näharbeit. Offenbar versuchte sie, mich nicht zu stören.
»Was stickst du denn da? Eine Sashiko- Arbeit ?« Ich stützte mich auf einen Ellbogen, um besser zu sehen.
»Nein, ich stopfe deinen Büstenhalter! Das Band ist fast durchgewetzt.« Sie erhob sich, schaltete das grelle Deckenlicht ein und ließ den Büstenhalter in seiner ganzen zerschlissenen Pracht vor meiner Nase hin und her baumeln, damit ich sehen konnte, wie abgetragen er war.
»Den wollte ich eigentlich wegwerfen«, sagte ich.
»Nun, bei der Ausstellung im Mitsutan hattest du ihn aber noch an. Das habe ich gesehen, als die Schwestern im Krankenhaus dich ausgezogen haben.«
Mein Stöhnen wurde vom Klingeln des Telefons unterbrochen, und Norie ging ran. »Ach, Richard-san! Wie nett von Ihnen, daß Sie wieder anrufen.« Dann schwieg sie, um ihm zuzuhören. Richard sprach sehr gut Japanisch. Nach einer Weile sagte sie: »So desu, neh! « Offenbar waren sie sich einig.
»Deine Tante ist doch ein Schatz. Warum hast du bloß solche Angst vor ihr?« fragte Richard, nachdem Norie mir den Hörer endlich überlassen hatte.
»Habe ich doch gar nicht! Ich fühle mich nur manchmal ein bißchen eingeengt«, sagte ich auf englisch, in der Hoffnung, daß Norie mich nicht verstehen würde.
»Ich habe ihr gerade vorgeschlagen, daß ich mit dir einen Gesundheitstee trinken gehe. Sie hält sehr viel von homöopathischen Mitteln, hast du das schon gewußt?«
»Ja.« Also wollte Richard mich treffen. Ich war wegen der Abfuhr, die er mir vierundzwanzig Stunden zuvor erteilt hatte, immer noch ein bißchen angefressen.
»Ich muß nur noch eine Englisch-Kassette für einen Schüler aufnehmen. Wenn du mit dem Anziehen fertig bist, stehe ich wahrscheinlich schon vor deiner Tür.« Erst jetzt schien Richard zu bemerken, wie schweigsam ich war. »Vorausgesetzt, du willst überhaupt.«
»Na schön«, sagte ich. »Ich könnte ein bißchen frische Luft vertragen.«
Ich zog mich schnell an, weil ich allen Kleiderdiskussionen mit Norie aus dem Weg gehen wollte, und entschied mich für Leggings, die mein armes gequältes Hinterteil nicht einengten, sowie für ein weites Sweatshirt mit dem Aufdruck DREAMS COME TRUE. »Large« entsprach in Japan in etwa der Damengröße 32. Während ich im Vorraum die Schnürsenkel meiner geliebten Asics-Turnschuhe band, dachte ich traurig an die vielen Kilometer, die ich mit diesen Schuhen im vergangenen Jahr gelaufen war. Jetzt schaffte ich es kaum, bis zum nächsten Teehaus zu humpeln.
Richard segelte in meine Wohnung wie eine kleine schwarze Fledermaus. Seine abgetragene Lederjacke glänzte vom Regen, und der Ring an seiner Unterlippe zitterte, als er meine Tante in besonders höflichem Japanisch begrüßte.
»Shimura -sama, entschuldigen Sie die Störung. Wie ich sehe, verzieren Sie gerade ein Kleidungsstück mit Stickereien.« Richard trat näher. »Wie zauberhaft! Ach, wenn ich doch nur auch nähen könnte. Mit einer Nadel und einer guten Schere könnte ich mir dann die perfekte Kleidung selbst schneidern.«
Norie ließ meinen Büstenhalter hastig in ihrem Nähkorb verschwinden. Der Anblick meines Futon war schlimm genug für einen Fremden, aber meine
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