Bittere Mandeln
Unterwäsche … Sie verabschiedete mich mit einem kurzen Winken und meinte: »Bleib nicht so lange weg. Das Essen ist bald fertig.«
»Mich hat sie nicht zum Essen eingeladen«, beklagte sich Richard, als wir draußen auf der Straße waren.
»Die Japaner laden nie jemanden zu sich zum Essen ein. Nicht, weil sie unhöflich sind, sondern weil sie Angst haben, daß ihre Wohnung zu klein und das Essen zu schlecht ist für einen Gast«, sagte ich, während wir an einem yakitori- Lokal vorbeigingen, dessen traditioneller Willkommensvorhang in der kühlen Brise flatterte. Der verführerische, rauchige Duft von Grillhähnchen ließ fast den Wunsch in mir aufkommen, keine Vegetarierin zu sein.
»Mmm, yakitori. Was hältst du davon, den Plan zu ändern, ein Bier zu trinken und ein paar Spießchen zu essen?«
»Ich hab’ Angst, daß meine Tante das riecht. Außerdem hätte ich nicht gedacht, daß mehr drin ist als eine schnelle Tasse Tee. Triffst du dich denn nicht mit Enrique?«
»O je, da reckt die Eifersucht ihr häßliches Haupt«, spottete Richard. »Tja, du kannst von Glück sagen, daß ich ihn gestern abend im Salsa Salsa gesehen habe.«
»Warum?« Der Gehsteig vor dem Tofuladen war rutschig von ausgeschüttetem Spülwasser, und mir glitten die Beine weg, als wir um die Ecke gingen. Richard fing mich auf. »Ich warte lieber mit meinen Neuigkeiten, bis wir sitzen.«
»Warum, wird’s aufregend?« fragte ich und versuchte, bewußt langsam zu gehen, als wir in der kleinen Straße anlangten, in der sich das Yanaka-Teehaus befand. Abgesehen von Mr. Wakas Family Mart war dies mein Lieblingsgeschäft in der Gegend. Die Originalfassade des kleinen, ganz in Holz gearbeiteten Ladens, der um die Jahrhundertwende erbaut worden war, hatte sich fast vollständig erhalten. Über der Tür befand sich eine hübsch geschnitzte Tafel mit einem Samurai und einer Dame, die zusammen Tee tranken. Im Innern warben alte Holzschilder an leuchtend roten Wänden für Tees, die gegen alle möglichen Malaisen von Verstopfung bis zu gebrochenem Herzen helfen sollten. Auf der einen Seite des Ladens standen Regale voll mit verkaufsfertig verpacktem Tee; auf der anderen waren ein paar Tische für diejenigen, die ihn an Ort und Stelle trinken wollten.
»Das Spezialangebot des Monats ist ein Schlangenblutgetränk. Das soll gegen Kater helfen, aber es ist zu teuer.« Richard, der viel mehr kanji- Schriftzeichen kannte als ich, warf einen Blick in die Karte. »Wie wär’s mit sakura-yu? Ein Tee aus eingelegten Kirschblüten. Das heißt, er ist salzig, stimmt’s?«
Ich nickte, obwohl ich keinerlei Lust auf irgend etwas mit Kirschblüten hatte. Zum Glück empfahl der Kellner mir Ginseng-Tee zur Stärkung des Körpers und der Liebesfähigkeit. Da Richard keine Probleme mit der Liebe hatte, versuchte er kombu-cha, ein Getränk, das aus einer langes Leben verheißenden Seetangart zubereitet wurde.
Der Tee wurde in kleinen Schalen serviert, die innen glatt glasiert und außen rauh waren, ganz ähnlich wie die Gefäße, die Mari Kumamori zu der Ikebana-Ausstellung mitgebracht hatte. Ich hob das Schälchen zum Mund und kam nach ein paar Schlucken zu dem Schluß, daß das Getränk darin ein bißchen wie grüner Tee schmeckte. Als ich mich umsah, merkte ich, daß eine erstaunlich große Anzahl junger Leute Tee trank. War Tee etwa in? »Dann erzähl mir mal von gestern abend.« Der Tee linderte die Schmerzen in meinem Hals und wärmte mich.
»Tja, Enrique hat immer noch an der Bar bedient, als ich ankam, also habe ich mir einen Drink geholt und mich ein bißchen unters Volk gemischt. Plötzlich habe ich dann gehört, daß jemand was über die Kayama-Schule sagte.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß die Ikebana-Damen in dieses Lokal gehen.«
»Nein, es waren zwei Männer. Sie haben sich auf spanisch unterhalten. Der eine trug eine Jeansjacke mit Stickereien in Spanisch und Englisch. Da kommt mir ein Gedanke: Meinst du, deine Tante könnte mir eine Kirschblüte auf meine Lieblings-Levi’s sticken? Das wäre doch eine gute Methode, das Loch zu verdecken, das deiner Meinung nach so obszön ist.«
»Che. War das das Wort, das du auf der Jacke gesehen hast?«
»Genau! Das ist doch ein Name, oder?«
»Ich glaube, es ist ein Spitzname, der so was Ähnliches wie ›guter Freund‹ bedeutet. Es ist eine legere Form der Anrede. Hast du denn noch nie was von Che Guevara gehört, dem argentinischen Aktivisten, der zum Sturz etlicher lateinamerikanischer
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