Bittere Mandeln
Richard, griff nach seiner Schale und stieß mit mir an.
14
Es gibt Zeiten, da bin ich überzeugt, das, was ich tue, ergibt Sinn, nur um ein paar Stunden später festzustellen, daß ich verrückt bin.
Als ich zusammen mit Richard das Teehaus verließ, war ich ganz und gar erfüllt von der Gewißheit, daß Enrique und Richard die perfekten Maulwürfe waren, um Ches Organisation zu untergraben. Aufgepuscht durch den Ginseng-Tee und meine Überzeugung, bald etwas Neues herauszufinden, ging ich ins Bett.
Am nächsten Morgen erwachte ich mit einem fast unerträglichen Druck auf der Blase und dem Gefühl, zum Untergang verdammt zu sein. Richard war genausowenig in der Lage, ein solches Doppelspiel zu spielen, wie ich, eine Ikebana-Prüfung zu bestehen. Außerdem gab es da noch die Frage, ob man Enrique trauen konnte. Schließlich war er Richard erst ein paar Tage zuvor in die Arme gefallen.
»Soll ich ans Telefon gehen, Rei -chan?« murmelte Tante Norie von ihrem Futon aus, der nur wenige Zentimeter von meinem entfernt ausgerollt war. Ich hatte gerade die Toilettenspülung betätigt und das Telefon nicht gehört.
»Nein, nein, ich geh’ schon ran.« Als Lieutenant Hatas Stimme eben auf den Anrufbeantworter zu sprechen begann, nahm ich das schnurlose Telefon und zog mich damit ins Bad zurück. Dort drehte ich den Wasserhahn auf, damit Tante Norie nicht hörte, was ich sagte, und fing an, Lieutenant Hata die ganze Geschichte zu erzählen. Ich begann mit dem mysteriösen Haiku, das ich zwei Tage zuvor erhalten hatte.
»Das ist von Bashō«, sagte er, nachdem ich die drei Zeilen zitiert hatte. »Das Gedicht habe ich in der Schule lernen müssen.«
»Begreifen Sie, warum es mich nervös macht?« fragte ich.
»Nein, eigentlich nicht. In Japan ist es Tradition, anderen Gedichte zu schenken. In der Kaiserzeit haben junge Männer ihren Kurtisanen Gedichte als Dankbriefe geschickt. Es wundert mich, daß Sie keine Ahnung haben, wer der Absender ist.«
Es dauerte eine Weile, bis ich begriff, was er damit andeuten wollte. »Ich habe keine Affäre mit Takeo.«
»Warum haben Sie mich dann in die Küche verbannt, damit Sie sich unter vier Augen mit ihm unterhalten konnten? Außerdem haben Sie ihm zur Flucht verholfen«, fügte Hata verbittert hinzu.
»Takeo hat die Wohnung gänzlich ohne meine Hilfe verlassen. Und er ist auch kein flüchtiger Verbrecher«, sagte ich. »Ihr Verdacht sollte sich gegen Che Fujisawa richten. Die Wahrscheinlichkeit, daß er oder jemand aus seiner Bande mich vergiften wollte, ist ziemlich hoch.«
»Miss Shimura, vielleicht sollten Sie noch einmal zurück ins St. Luke’s Hospital gehen, denn das klingt mir alles sehr nach Halluzinationen! Seit wann ist eine Umweltschutzgruppe eine Bande?«
»Vorgestern abend sind Che und ein Freund im Salsa Salsa, einem Nachtclub, belauscht worden, wie sie sich über die Kayama-Schule, das Mitsutan, das St. Luke’s Hospital und meine Adresse in Yanaka unterhalten haben.«
»Ach?« Er klang argwöhnisch. »In der Zeitung stand nichts über Ihre Erkrankung.«
»Ja, daher können sie es also nicht gewußt haben. Offenbar haben sie mit der Sache zu tun.«
»Was genau haben Sie belauscht?« Zum erstenmal seit Beginn unserer Unterhaltung hörte ich das Kratzen eines Stiftes. Hata machte sich also Notizen.
»Nicht ich habe das Gespräch belauscht, sondern ein Freund von mir«, sagte ich, darauf bedacht, keine Namen zu nennen. »Die Unterhaltung war in Spanisch, so daß ich nur über die wenigen japanischen Worte darin informiert bin.«
»Wo ist das Salsa Salsa?«
»An der Roppongi-dori, Richtung Nishi-Azabu. Aber da können Sie nicht einfach so hingehen – Sie würden zu sehr auffallen. Außerdem brauchen Sie einen Spanisch-Dolmetscher.« Plötzlich machte ich mir Sorgen.
»Von denen haben wir genügend. Und ich besitze auch ein paar Zivilklamotten«, sagte er belustigt.
Ich bedankte mich bei Lieutenant Hata dafür, daß er mir seine Zeit geschenkt hatte, und legte auf. Tante Norie klopfte schon eine ganze Weile an die Tür; ich mußte mich jetzt ihr widmen.
»Du brauchst deine Telefonate nicht vor mir zu verstecken. Ich weiß schon, daß das dieser Polizist war.« Tante Norie lehnte im Türrahmen, den yukata- Morgenmantel ordentlich zugebunden über ihrem Flanell-Pyjama. Ihre Haare waren vom Schlafen zerzaust, und die Reste ihrer Nachtcreme klebten an ihrem Gesicht, so daß sie aussah wie ein Marsmännchen aus einem Comic-Heft.
»Du hast doch noch
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