Bittere Mandeln
kultivierte Menschen kennen.« Mr. Ishida schwieg eine Weile. »Vielleicht kennen Sie sogar die Kayama, die mir die Gefäße verkauft hat?«
»Eine Angehörige der Familie ist zu Ihnen gekommen?« Ich war verblüfft. Nun ja, der Laden befand sich nur ein paar Häuserblocks von der Schule entfernt.
»Die Frau war ungefähr so alt wie Ihre Tante.«
»Aber es gibt keine Kayama-Frauen in dem Alter«, sagte ich. »Ich kenne nur Natsumi, und die ist genauso alt wie ich.«
»Die Dame war ein bißchen über Fünfzig. Ich sage das nur, weil japanische Frauen heutzutage mehr Cremes und Wässerchen haben, um ihre Haut jung zu erhalten«, meinte Mr. Ishida. »Die Dame war hübsch, aber ziemlich unfreundlich. Vermutlich ist es ihr schwergefallen, sich von ihrer Sammlung zu trennen. In dieser Zeit der finanziellen Unsicherheit erhalte ich immer mehr Aufträge von Privatpersonen. Wahrscheinlich hat ihre angespannte Situation ihre Laune beeinträchtigt.«
Aber die Kayamas hatten meines Wissens keine finanziellen Probleme. Oder doch? »Wieso haben Sie die Frau als so kühl empfunden?« erkundigte ich mich.
»Sie bestand darauf, daß ich mich sofort entscheide, die Sammlung von zweihundert Stücken zu übernehmen. Andernfalls drohte sie zu gehen. Und als wir dann auf die Bedingungen zu sprechen kamen, hat sie achtzig Prozent des Verkaufspreises für sich gefordert. Ich sollte nur zwanzig bekommen!«
Normalerweise erhielt der Auftraggeber sechzig Prozent des Verkaufserlöses und der Verkäufer vierzig, insofern war ihre Forderung tatsächlich unverschämt. »Und was haben Sie getan?«
»Ich habe ihr fünfundsechzig Prozent des Verkaufserlöses angeboten und ihr erklärt, daß sie die Sachen wieder zurücknehmen müsse, wenn sie innerhalb von zwei Monaten nicht verkauft wären. Sie hat zugestimmt; zweifelsohne war sie schon bei anderen Händlern gewesen, die sich nicht auf ihre Bedingungen eingelassen haben. Aber die Stücke, die sie mir angeboten hat, sind etwas Besonderes.« Er ließ den Finger über die Glasur des suiban gleiten, das ich auf dem Tisch zwischen uns abgestellt hatte. »Ich hatte irgendwie das Gefühl, daß ich die Sachen nehmen sollte.«
Er war also ein Opfer seiner Antiquitätenlust geworden. Aus dem gleichen Grund hatte ich Mrs. Moritas Teller genommen: Es war der Wunsch, ja, der Drang, eine Weile von solchen Stücken umgeben zu sein. Eigentlich hatte ich gedacht, mein Motiv sei der Profit gewesen, doch daran begann ich jetzt zu zweifeln. Vielleicht wollte ich nur eine Abendeinladung für acht erlesene Gäste geben.
»Das kann ich verstehen«, sagte ich.
»Aber ich habe einen Fehler gemacht. Offenbar war ich während unseres Gesprächs abgelenkt, denn ich habe mir ihre Telefonnummer zwar notiert, aber ich bekomme keinen Anschluß unter dieser Nummer. Noch schlimmer ist, daß die Frau mich bisher nicht zurückgerufen hat. Ihr Besuch bei mir liegt fast drei Monate zurück, und ich habe neun Gefäße verkauft, doch ich kann ihr das Geld nicht geben.«
Ich faßte einen Beschluß. »Ich würde gern für Sie herausfinden, ob es eine Dame mittleren Alters in der Kayama-Familie gibt.«
»Aber Sie haben doch gerade gesagt, daß Sie keinen Spaß an Ikebana haben. Was interessiert Sie so an der Sache?« Mr. Ishida klang skeptisch.
Ich sah ihn an und sagte: »Ich würde auch gern wissen, wer die Dame ist.«
»Glauben Sie, Sie könnten ihre Telefonnummer herausfinden?«
»Vielleicht«, sagte ich. »Takeo hat mir erzählt, daß seine Mutter tot ist, also denke ich, daß die Dame, die bei Ihnen war, sich nur für eine Angehörige der Kayama-Familie ausgegeben hat – es sei denn, irgendeine entfernte Verwandte ist plötzlich hier in Tokio aufgetaucht.«
»Das halte ich für unwahrscheinlich.« Doch es schwang Unsicherheit in Mr. Ishidas Stimme mit, und ich wußte, daß er sich Sorgen machte. Er brauchte meine Hilfe.
»Ich verspreche Ihnen, diskret vorzugehen. Lassen Sie mich das suiban kaufen, dann erscheint mein Interesse motiviert.« Ich hatte tatsächlich Lust, das Gefäß zu erwerben. Ich könnte es Tante Norie als kleines Dankeschön schenken. Vielleicht würde dieses Geschenk ihr klarmachen, daß sie mich lange genug betreut hatte und nun wieder nach Yokohama zurückkehren konnte, um dort in Ruhe ihre Ikebana-Kurse zu geben.
Auf dem Weg nach Roppongi kaufte ich eine Ausgabe der Japan Times. Zumindest die englischsprachige Presse hatte mittlerweile das Interesse an dem Mord in der Kayama-Schule
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