Bittere Mandeln
verloren. Alles drehte sich nun um die Bankenkrise. Die japanische Börse war an die dritte Stelle hinter die amerikanische und die englische zurückgefallen, obwohl die Regierung optimistisch blieb. Tja, so neu war das auch wieder nicht.
Ich steckte die Zeitung in meinen Rucksack, der wegen des suiban bereits ziemlich dick war. Als ich das Ding wieder auf meinen Rücken gehievt hatte, sah ich mein Spiegelbild in einem Schaufenster. O je, dachte ich, die jüngste Osteoporose-Patientin der Welt. Auf der Gaien Higashi-dori stellte ich erleichtert fest, daß niemand vor My Magic Forest protestierte, denn ich brauchte für meinen Plan einen großen Strauß Blumen.
Ich betrat den Laden durch griechische Säulen. Im Innern roch es nach Erde, Moos und exotischen Blüten. Ich ging durch die Ausstellung üppiger internationaler Pflanzen, die ich bereits mit Tante Norie gesehen hatte, und steuerte auf ein Sonderangebot mit langstieligen rosafarbenen Rosen zu. Sofort fiel mir auf, wie trocken die Blütenblätter waren.
»Woher sind denn diese Rosen?« fragte ich eine Verkäuferin, die gerade Jasmin arrangierte.
»Aus Lateinamerika. Ich weiß nicht genau, aus welchem Land, aber unser Lieferant hat uns versichert, daß keiner der Pflücker Opfer einer Pestizid-Vergiftung wurde!« Sie sah genauso nervös aus, wie sie klang.
»Die Rosen sind aber schon ein bißchen braun an den Rändern.«
»Sie sind vor zwei Tagen geliefert worden. Weil sie sich nicht verkaufen, haben wir den Preis gesenkt. Wenn der Dame die Rosen nicht zusagen, hätten wir auch noch holländische Tulpen oder Orchideen aus Thailand.«
»Haben Sie auch Blumen aus Japan?«
»Ja, sicher, aber die sind sehr teuer.« Sie warf einen Blick auf meinen dicken Rucksack, der mich offenbar als Schnäppchenjägerin klassifizierte. Ich nahm den Rucksack herunter und strich meinen Burberry glatt, so daß die Verkäuferin das karierte Innenfutter sehen konnte. Zwar stammte der Mantel noch aus der Siebziger-Jahre-Garderobe meiner Mutter, aber in Japan war ein Burberry so etwas wie ein Statussymbol.
»Geld spielt keine Rolle«, sagte ich, plötzlich tolldreist geworden. »Jedenfalls nicht, wenn’s um Ikebana geht.«
»Ach, die Dame unterrichtet Ikebana?« fragte die Verkäuferin mich freundlich und führte mich durch einen Minipark aus blühenden Kirsch- und Pflaumenbäumen. Man konnte ganze Bäume, deren Wurzeln mit Erde und Sackleinen geschützt waren, für sechzigtausend Yen und mehr erwerben. Ich entschied mich wegen meiner wachsenden Abneigung gegen Kirschblüten für falschen Jasmin. Dazu nahm ich ein paar Lotusblätter sowie einige hübsche kleine purpurfarbene Kosmeen. Dafür bezahlte ich ohne allzugroße Reue fünftausend Yen, ungefähr fünfunddreißig Dollar.
»Bei der Verpackung können Sie wählen zwischen recyceltem Zeitungspapier oder dem Silberpapier mit dem Firmensignet.«
Ich überlegte eine Weile und entschied mich dann doch für das Papier von My Magic Forest. Mit ein bißchen Glück würde ich damit bei meiner Mission im Kayama-Kaikan-Gebäude aussehen wie jemand, der dort ein- und ausging.
15
Damit der Portier mich nicht als Todesbotin erkannte, hielt ich mir beim Betreten des Kayama Kaikan die Blumen vors Gesicht. Aber ich hätte mir keine Sorgen zu machen brauchen, denn er war gerade damit beschäftigt, einer Gruppe deutscher Touristen die Tür aufzuhalten. Ich schlüpfte mit ihnen hinein und blieb bei ihnen, bis sie die Aufzüge erreichten. Dort verdrückte ich mich durch die Tür mit der Aufschrift Notausgang und lief die Treppe hinauf.
Ich wußte von meinem Kurs, daß das Sekretariat der Kayama-Schule am Dienstagnachmittag geschlossen war, damit die Angestellten selbst an Ikebana-Kursen teilnehmen oder sich anderen Aktivitäten widmen konnten. Der Zeitpunkt war ideal für mein Vorhaben.
Auf dem Treppenabsatz zum ersten Stock trat ich auf den Flur mit dem grauen Teppich hinaus, der zum Sekretariat führte. Wie bei so vielen japanischen Büros handelte es sich auch hier um einen großen, offenen Raum mit Schreibtischen, die bis auf das Namensschild des jeweiligen Angestellten völlig leer waren.
Zum Glück kannte ich die Schriftzeichen für Koda und Sato. Ich entdeckte Mrs. Kodas Tisch gleich bei einer der langen Fensterwände. Anfangs hielt ich noch Abstand vom Fenster, doch dann fiel mir wieder ein, daß man ja während des Tages nicht durch das Spiegelglas ins Innere schauen konnte. Ich sah hinaus auf die anderen Bürogebäude und die
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