Bittere Mandeln
geschmolzen, doch der größte Teil der Keramik – besonders die mit Blattgold oder üppigen Malereien – wurde verschont. Auch die Gefäße aus den Dreißigern haben den Krieg überdauert, aber Ende der vierziger Jahre bestand kein Interesse daran, die Produktion fortzusetzen. Diese Formen waren inzwischen nicht mehr modern, und selbst wenn sie es gewesen wären, hätte niemand das Geld gehabt, in neue Ikebana-Gefäße zu investieren.«
»Vielleicht hätten die amerikanischen Offiziersgattinen, die sich mit Ikebana beschäftigten, die nötigen Mittel gehabt.«
»Nein. In den vierziger Jahren beurteilten die Leute die Überbleibsel aus den Dreißigern, wie wir heute Kleidung und Möbel aus den Siebzigern, nämlich als billig. Mein Vater hat mir außerdem erzählt, daß die amerikanischen Frauen Antiquitäten suchten, Stücke aus dem alten Nippon, die sie mit nach Hause nehmen wollten. Genau wie Sie.«
Die siebziger Jahre hatten wichtige Impulse für die japanische Mode der vergangenen fünf Jahre gegeben, aber diese Information hätte ihn bloß von dem abgelenkt, was ich ihm mitzuteilen hatte. »Ich versuche keineswegs, alte Stücke aus Japan hinauszubringen! Ich bemühe mich vielmehr, sowohl den Wert als auch die Wertschätzung dekorativer japanischer Kunstgegenstände zu erhöhen. In gewisser Hinsicht besteht meine Arbeit darin, das kulturelle Bewußtsein der Menschen zu heben.«
Als die Worte heraus waren, hätte ich mir am liebsten auf die Zunge gebissen. Von wegen Hebung des kulturellen Bewußtseins! Mein Gott, hörte sich das dumm und kalifornisch an.
Takeo bedachte mich mit einem kühlen Blick. Schließlich sagte er: »Es wundert mich wirklich, daß Sie die Hebung des kulturellen Bewußtseins als Rechtfertigung für einen Diebstahl anführen.«
»Für einen Diebstahl?« fragte ich.
»Ich habe die Polizei nur deshalb noch nicht gerufen, weil mir die Beamten doch nicht verraten würden, was Sie gestehen. Nach dem Tod von Sakura haben sie mir auch nichts wirklich Wichtiges gesagt.«
»Wieso reden Sie die ganze Zeit von Diebstahl? Hat irgend jemand etwas aus der Schule gestohlen?«
»Ja, Sie, Rei. Deshalb sind Sie hier in diesem Büro. Ich möchte Sie fragen, wie Sie die gesamte Kayama-Keramik-Sammlung an sich gebracht haben und warum.«
16
»Takeo.« Ich benutzte betont seinen Vornamen, denn auch er hatte mich ohne Aufforderung beim Vornamen genannt und nicht einmal ein -san angefügt, um Respekt zu zeigen. »Takeo, Sie haben eine lebhafte und kreative Phantasie. Deswegen werden Sie vermutlich auch der zukünftige Leiter dieser Schule werden.«
»Sie haben dieses suiban gestohlen und dazu unsere gesamte Sammlung aus den dreißiger Jahren. Ich weiß nicht, wie, aber es ist Ihnen gelungen. Bravo.« Takeo sprach in dem gleichen bestimmten Tonfall wie beim Eintreffen der Polizei nach dem Mord an Sakura.
»Tja, dann rufen Sie doch die Polizei«, sagte ich. »Ich führe die Beamten gern zu dem Laden, wo ich das suiban heute morgen gekauft habe.«
»Sie sind wirklich eine fabelhafte Lügnerin, Rei. Ihre Lügen sind fast so fabelhaft wie Ihre Tanzkünste.«
Eine unverschämtere Beleidigung hatte ich mir noch nie anhören müssen, doch ich hob lediglich die Augenbrauen und sagte: »Vielleicht sehen Sie sich mal die Quittung an.« Ich zog genüßlich die Brieftasche heraus und reichte ihm den Beleg, den Mr. Ishida mir ausgestellt hatte.
»Jetzt sagen Sie bloß nicht, daß der alte Mr. Ishida Ihr Komplize ist!«
»Das klingt fast so, als würden Sie ihn kennen«, sagte ich.
»Der Name Yasushi Ishida ist in mehreren Artikeln aufgetaucht, die letztes Jahr über Sie erschienen sind. Die Tatsache, daß dieser ehrwürdige Fachmann nun mit gestohlenen Antiquitäten handelt, dürfte die Presse wohl noch mehr interessieren, meinen Sie nicht auch?«
Jetzt redete er wieder von Diebstahl. In bemüht geduldigem Tonfall fragte ich: »Gestohlen? Wo denn?«
»Aus unserem Schularchiv.«
»Und wann soll das passiert sein?« fragte ich weiter.
»Vor ungefähr sechs Wochen. Aber das wissen Sie ja. Wieso fragen Sie mich noch?« herrschte Takeo mich an.
»Vor sechs Wochen war ich in Sapporo und habe einen Nachlaß geschätzt.« Das war nun wirklich ein handfester Beweis.
»Nun, das genaue Datum kenne ich nicht. Sie oder Ihr Freund könnten die Kayama-Keramiken ja schon früher an sich genommen haben. Ich habe es jedenfalls erst zu dem Zeitpunkt bemerkt.«
»Ich habe dieses Gebäude vor zwei Wochen zum erstenmal
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