Bittere Mandeln
Dinge zu tun, die man normalerweise nicht machen würde«, pflichtete Takeo ihm bei.
Ich bekam eine solche Wut, daß ich ihm einen leichten Tritt gegen das Schienbein versetzte. Als Mr. Ishida zusammenzuckte, merkte ich, daß ich den Falschen erwischt hatte.
»Entschuldigung!« Auf der Theke des Teehauses entdeckte ich eine kleine Holzmaus. »Ich dachte, unter dem Tisch huscht eine Maus herum.«
»Vor Mäusen brauchen Sie keine Angst zu haben. Sie sind Teil des Ökosystems«, sagte Takeo.
»Es hat früher einmal einen Tee gegeben, der aus Mäuseknochen gemacht wurde«, sagte Mr. Ishida nachdenklich.
»Was?« riefen Takeo und ich gleichzeitig aus. Er fand das also genauso eklig wie ich. Jetzt war der Bann gebrochen, und wir mußten alle lachen.
»Genau, meine Lieben, ich habe einen Scherz gemacht. Aber laßt mich zum eigentlichen Thema zurückkommen. Ich habe mich in dem Fall aus zwei Gründen nicht an meine sonstigen Geschäftsregeln gehalten. Erstens: Die Dame hat sich mir als eine Kayama vorgestellt, und das schien zu passen, denn sie bot mir ja eine Kayama-Keramik-Sammlung an. Zweitens: Besagte Sammlung von Ikebana-Gefäßen, die mir zwei Lieferanten am folgenden Tag vorbeibrachten, war riesig – zweihundert Stücke insgesamt. Ich habe die Dame gefragt, ob sie bereit wäre, sich die Kosten für Anzeigen im Ikebana International und Daruma mit mir zu teilen, aber sie hat sich geweigert. Damals habe ich gedacht, es liege daran, daß sie nicht bereit war, Geld vorzustrecken, doch jetzt glaube ich, sie wollte vermeiden, daß die Schule von ihrer Tat erfuhr.«
Ich griff in meinen Rucksack und holte eine Zeitschrift heraus, die ich an der U-Bahn-Station gekauft hatte. »Meinen Sie, Sie könnten in dieser Zeitschrift ein Foto von einer Frau finden, die ihr ähnlich sieht? Vielleicht könnten Sie uns aber auch nur zeigen, wie sie ihr Haar getragen hat.«
»Sind denn heutzutage alle Zeitschriften so?« fragte Mr. Ishida mit ungläubigem Blinzeln, während er die Illustrierte langsam durchblätterte.
»Nein. Die hier will Frauen dabei helfen, die passende Frisur zu finden.« Ich fragte mich, wie meine eigenen Haare nach dem Sprint von der U-Bahn-Station zum Teehaus wohl aussahen. Ich strich sie mir hinter die Ohren und hoffte das Beste. »Ja, sie hat die Haare ungefähr so getragen«, sagte Mr. Ishida und nickte bei dem Foto einer Frau mit einem schulterlangen Pagenschnitt.
»Meine Mutter trug ihre Haare auch so«, sagte Takeo. »Ich habe ihr immer dabei zugesehen, wie sie die Spitzen mit einem Lockenstab vor dem Spiegel nach innen gedreht hat.«
Praktisch alle Frauen, die ich kannte, trugen einen Pagenschnitt: Tante Norie zum Beispiel oder Eriko und Mari Kumamori. Auch auf Sakura hätte die Beschreibung gepaßt – sie war zweiundfünfzig Jahre alt gewesen und hatte ebenfalls einen Pagenschnitt gehabt, allerdings einen mit Haarspray betonierten.
»Erinnern Sie sich noch, an welchem Tag genau die Frau zu Ihnen gekommen ist?« fragte ich.
Mr. Ishida holte eine Quittung aus seiner kleinen Herrentasche. »Sie war am vierzehnten Januar bei mir.«
Sakura Sato war an jenem Tag noch am Leben gewesen.
»Welche Kleidung hat sie getragen?« fragte Takeo.
»Auf diese Frage habe ich schon gewartet, denn das ist ein interessanter Punkt. Sie hatte einen Seidenkimono aus der frühen Showa-Periode an, orange und gelb, mit einem eingewebten Muster aus Monden und Sternen. Ausgesprochen ungewöhnlich.« Mr. Ishida rieb sich das Kinn.
»Wieso ungewöhnlich?« wollte Takeo wissen. Mr. Ishida nickte mir zu, also beantwortete ich Takeos Frage. In der Regierungszeit des Kaisers Showa, also in den Zwanzigern und Dreißigern, kamen erstmals industriell gefertigte Kimonostoffe in Mode. Da die Maschinen völlig neue Möglichkeiten eröffneten, entwarfen die Designer nun Stoffe, die die künstlerischen Strömungen dieser Periode spiegelten. Showa-Kimonos waren wunderschön und im allgemeinen in fast perfektem Zustand zu haben, aber die meisten Japaner schätzten sie nicht so wie ich. Sie kauften sich lieber neue Kimonos. Also würde man eine Japanerin mittleren Alters, die einen sechzig oder siebzig Jahre alten Kimono trug, für ziemlich exzentrisch halten.
Ich wandte mich vom Thema »Kimono« ab und fragte, was genau die Frau gesagt hatte. Mr. Ishida antwortete, er erinnere sich nicht mehr an die Worte, aber daran, daß die Frau höfliche Umgangsformen gehabt und geklungen habe, als stamme sie aus Tokio oder den Vororten.
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