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Bittere Mandeln

Bittere Mandeln

Titel: Bittere Mandeln Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sujata
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Ihre Schule.« Mit einer Mischung aus Trauer, Sorge und einem Hauch Begierde schlüpfte ich in meinen Regenmantel und ging hinaus in die dunkle, regnerische Nacht.

18
    Nories Sachen waren nicht mehr in meiner Wohnung, und ich fand auch keinen Brief, in dem sie sich von mir verabschiedete. Offenbar hatte ich mit meinem aggressiven Verhalten schrecklichen Schaden angerichtet. Sogar Tom, der mir eine Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen hatte, erklärte mir, ich solle ihn am nächsten Morgen im Krankenhaus anrufen, nicht zu Hause. Nach Tom hatte sich Mrs. Morita gemeldet, um zu fragen, wann sie das Geld für die Teller bekommen würde, die sie mir gegeben hatte. Es war, wie Mr. Ishida gesagt hatte: Privatanbieter sahen einem ständig auf die Finger.
    Halb zehn war zu spät, um sie zurückzurufen, und außerdem hatte ich Hunger. Ich war zu müde, um eine richtige Mahlzeit zuzubereiten, also beschloß ich, den letzten Rest okayu zu essen, der sich noch im Kühlschrank befand. Ich stellte den Brei auf den Herd und sah zu, wie Blasen auf der grauen Oberfläche erschienen und irgendwann zerplatzten. Ich war so fasziniert von dem Anblick, daß ich erst nach einer ganzen Weile merkte, wie angebrannt es roch.
    Also schaltete ich das Gas aus und schüttete den noch eßbaren Teil des okayu auf einen Teller, den ich vom Trockenbrett holte. Die Keramik gab ein seltsam wimmerndes Geräusch von sich. Aus Versehen hatte ich keinen meiner eigenen Unterteller, sondern eine der Antiquitäten von Mrs. Morita erwischt. Und das grauenhafte Geräusch stammte von der unter dem kochendheißen Brei berstenden Glasur.
    Ein Teil von mir war wütend auf Tante Norie, daß sie die Teller abgespült und auf das Trockenbrett gestellt hatte, denn sonst wäre mir dieser Fehler nicht passiert. Selbst in ihrer Abwesenheit schaffte sie es, mir Schwierigkeiten zu machen. Ich löffelte das heiße okayu von dem Teller und in eine Suppenschale. Dann spülte ich den Teller mit lauwarmem Wasser. Als ich fertig war, konnte ich die Stellen, an denen die Glasur geborsten war, weder sehen noch fühlen. Er war nicht beschädigt, aber hitzeempfindlich, das wußte ich jetzt.
    Ich rührte braunen Zucker in das okayu, damit es besser schmeckte, und aß hastig. Dann beschloß ich, mich der Frage zu widmen, die mich schon seit dem Nachmittag beschäftigte.
    »Family Mart!« rief Mr. Waka bereits nach dem ersten Klingeln in den Hörer.
    »Waka-san, ich bin’s, Rei. Ich rufe an, weil ich Ihnen wieder eine Frage über ein Haiku stellen möchte. Diesmal geht’s um ein hübsches Mädchen, das gestoßen wird.«
    »So, so, Sie setzen also Ihre literarischen Studien fort. Tut mir leid, aber ich habe im Moment eine ganze Menge Kunden und kann mich nicht mit Ihnen unterhalten.«
    »Leute, die die Kirschblüte bewundern wollen? Verstehe. Danke …«
    »Nein, es ist gerade ein Unfall passiert. Irgendsoein Trottel ist mit seinem Range Rover gegen einen Laternenpfahl geknallt. Was er mit dem großen Wagen in einer so engen Straße wollte, ist mir ein Rätsel. Da mußte ja etwas passieren. Mein Bruder ist Vorsitzender der Nachbarschaftsvereinigung, und er sagt, Fahrzeuge ab einem bestimmten Gewicht sollten verboten werden. Da stimme ich ihm voll und ganz zu.« Mr. Waka erregte sich weiter, obwohl er anfangs behauptet hatte, keine Zeit zum Reden zu haben.
    Ich spürte, wie ich eine Gänsehaut bekam. »Waren zwei Leute in dem Range Rover?«
    »Ja, und natürlich ist der Fahrer ein junger Spund! Auf dem Beifahrersitz ist ein alter Mann, vielleicht sein Chef oder sein Großvater. Das weiß niemand, weil sie noch nicht herausgeholt wurden.«
    »Herausgeholt? Sind sie denn tot?«
    »Offen gestanden weiß ich das nicht. Ich hoffe aber, daß die Sanitäter mir bald etwas sagen.«
    Ich griff so schnell nach meinem Mantel, den Schlüsseln und dem Schirm, daß mir der Telefonhörer herunterfiel.
    »Shimura-san? Was ist denn passiert?« schrillte Mr. Wakas Stimme aus dem Hörer am Boden.
    Ich hob ihn auf. »Ich komme zu Ihnen. Der Unfall ist direkt vor Ihrem Laden passiert?«
    »Nein, in der kleinen Straße gleich dahinter. Aber da können Sie nicht durch, weil die Polizei sie abgesperrt hat.«
    Ich dachte einen Augenblick nach. »Ich komme durch die Gasse. Bis gleich.«

    Ideale Bedingungen für einen Unfall, dachte ich, als ich die feuchte Straße hinunterrannte, dankbar für die Gummisohlen meiner geliebten Asics. Dichter Nebel wie aus einem alten Basil-Rathbone-Film hing über

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