Bittere Pille
durchgelesen und einige Dinge gefunden, die Brechtmann in
keinem guten Licht dastehen lassen. Allerdings habe ich zu wenig
Ahnung von dem ganzen Fachchinesisch und muss mir morgen früh
erst mal einen Mediziner suchen, der mir die speziellen Begriffe
erklärt. Sobald sich dort etwas Verdächtiges ergibt,
ergeht Haftbefehl gegen Brechtmann. Dann haben wir den Arzt schon
mal sicher, vielleicht kommen noch drei Morde hinzu, die auf sein
Konto gehen.« Ulbricht zog die Mundwinkel nach
unten.
Heinrichs schielte
immer wieder auf die Auslagen im Sexshop. »Das müssen
wir ihm erst mal nachweisen.«
»Eins kommt zum
anderen, Sie werden sehen. Vielleicht ist er geständig. Er ist
ein angesehener Mediziner und hat einen Ruf zu verlieren. Aber ist
der Ruf erst einmal ruiniert, lebt’s sich völlig
ungeniert. Kennen wir ja, die alte Leier.«
»Ich drücke
Ihnen die Daumen, dass Ihr Wunsch in Erfüllung geht.«
Heinrichs rückte sich die blau gerandete Brille zurecht und
löste den Sicherheitsgurt. »Wir sehen uns morgen
früh im Präsidium.«
»Und zwar
pünktlich.«
»So was
von!« Tür auf. Heinrichs sprang ins Freie und tippte mit
der flachen Hand an die Schläfe. »Erholen Sie sich gut,
Chef.«
»Du mich
auch«, knurrte Ulbricht und riss den Wählhebel der
Automatik auf D. Der Vectra ruckte nach vorn, und Norbert Ulbricht
trat das Gaspedal durch. Er war froh, diese Nervensäge endlich
los zu sein. Jetzt nichts wie ab nach Hause, durchzuckte es ihn. Er
nahm die Wupperbrücke am St. Etienne-Ufer und ordnete sich am
Heizkraftwerk rechts ein. Da er am Fischertal nicht nach links
abbiegen durfte, wendete er an der Post in der
Stresemannstraße und erreichte schon bald die Straße An
der Bergbahn. Sogar einen freien Parkplatz fand er, fast direkt vor
der Haustür. Ulbricht freute sich auf ein Feierabendbier und
klimperte vergnügt mit dem Haustürschlüssel herum,
als sich das Handy meldete.
»Jetzt
nicht«, brummte er kopfschüttelnd und betrat das
Treppenhaus. Gleich würde er zurückrufen. Im Briefkasten
nur Werbung, die Telefonrechnung und der Gemeindebrief. Mein Gott,
wie lange hatte er schon keine Kirche mehr von innen gesehen. Im
Haus roch es nach Putzmitteln. Frau Schultz vom Parterre hatte
wieder mal besonders gründlich geputzt heute.
Seine Wohnung lag im
ersten Stockwerk. Die Blumen auf der Fensterbank hätten eine
Kanne mit frischem Wasser gut vertragen können, dachte er
nachdenklich. Morgen, alles morgen. Heute war er einfach nur
fertig. Bei einem kühlen Bier würde er den hinter sich
liegenden Arbeitstag Revue passieren lassen und vielleicht noch die
eine oder andere Idee haben, die ihm morgen eine wichtige Hilfe
sein könnte. Einigermaßen gut gelaunt schloss er seine
Wohnung auf. Der übliche Mief empfing ihn. Und die Einsamkeit,
an die er sich schon fast gewöhnt hatte, aber leider eben nur
fast.
Norbert Ulbricht
streifte den zerknitterten Mantel ab und beförderte ihn an den
Garderobenhaken. Er kickte die Schuhe in die Ecke und fächerte
sich frische Luft zu, als seine Schweißfüße die
Luft zu verpesten drohten. Mit der Rechten lockerte er den
Knoten seiner
Krawatte und öffnete die oberen beiden Hemdsknöpfe.
Diesen Moment des Tages liebte er. Einfach mal auf den Dresscode
scheißen, völlig zwanglos durch die Bude stapfen und am
Kühlschrank das erste frische Bier des Tages lüften. Im
Wohnzimmer flog der Schlips in die Ecke, und das Hemd landete auf
dem Sofa. Auf Socken, mit T-Shirt und Hose bekleidet, betrat er den
Balkon und nahm einen tiefen Schluck. Dann beugte er sich über
die Brüstung. Er stellte die Bierflasche ab und zündete
sich eine Zigarette an. Langsam kam er runter. Sein Gehirn
schaltete einen Gang zurück, und die Ereignisse des Tages
zogen an ihm vorüber wie ein Film im Zeitraffer. Drinnen
schlug das Telefon an. Ihm war es egal. Heute konnten sie ihn alle
mal. Ein Zug von der Zigarette, dann mit einem Schluck Bier
nachspülen. Herrlich. Das Glück des kleinen Mannes,
dachte er.
Etwas ruhiger dachte
er an Dr. Brechtmann. Morgen würden sie ihn zum Verhör
ins Präsidium bitten, daran bestand gar kein Zweifel.
Sicherlich war es nur eine Frage der Zeit, bis sie ihn fanden.
Vielleicht war er wirklich untergetaucht, weil ihm die Luft zu
dünn geworden war, aber sie würden ihn finden. Und dann
war er reif. Ob er deshalb auch unter Mordverdacht stand,
würde das Verhör ergeben. Im Vordergrund stand der
Tatvorwurf der Korruption.
Auf der Straße
eine alte Frau,
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