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Bittere Pille

Bittere Pille

Titel: Bittere Pille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Schmidt
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sich in Rage geredet.
»Und telefonisch sind Sie auch nicht zu
erreichen!«
    »Mist, ich habe
ganz vergessen, zurückzurufen«, entfuhr es Ulbricht.
»Und dann bin ich eingeschlafen, Mist, verdammter. Weiß
auch nicht, was mit mir los ist, Seiler.«
    »Wie geht es
jetzt weiter?«, fragte Stefan ein wenig versöhnlicher.
»Die Fahndung nach dem Wagen läuft, ich habe das gleich
veranlasst.« Ulbricht erwachte von einer Sekunde zur anderen
aus seiner Lethargie. »Entführung?«
    »Ja, und sagen
Sie mir nicht, dass das nicht in Ihren Zuständigkeitsbereich
fällt.«
    »Nicht die
Bohne.« Ulbricht erhob sich und murmelte eine Entschuldigung.
»Ich war einfach todmüde. Ich muss vor der Flimmerkiste
eingeschlafen sein, und dann …« Er grinste verlegen.
»Naja, den Rest kennen Sie.« Er verschwand im Bad und
pinkelte. Stefan hörte ihn plätschern, danach die
Klospülung. Dann lief Wasser. »Geben Sie mir zwei
Minuten«, rief er.
    Stefan schwieg und
tigerte durch die Wohnung. Als Ulbricht auf der Bildfläche
erschien, bot er einen halbwegs passablen Anblick. Er hatte sich
Hände und Gesicht gewaschen und seine Haare gekämmt. Nun
lächelte er schief. »Ich werde langsam alt. Hau
mich einfach
nach Feierabend hin und schlafe ein, als wäre ich tot.«
Kopfschütteln, während er in sein Hemd schlüpfte.
»Das ist doch nicht normal.«
    »Was ist
eigendich mit Heinrichs? Soll das Ihr Nachfolger werden?«
Ulbricht blickte ihn entgeistert an. »Was mit ihm ist? Das
wollen Sie nicht wissen.« Er ging in den Flur, schlüpfte
in die Schuhe und band sich die Krawatte.
    »Ich bin froh,
dass Sie bei der Kripo sind und nicht bei der Feuerwehr«,
frotzelte Stefan. »Bei Ihrem Ankleidetempo wäre bestimmt
schon so manches Haus abgebrannt.«
    »Sparen Sie sich
die dummen Sprüche.« Ulbricht nahm den Schlüssel
aus der gläsernen Schale auf der Kommode und machte Anstalten
zu gehen. »Worauf warten Sie?« Gemeinsam gingen sie
nach unten. Es war ein lauer Abend.
    »Sie fahren, ich
habe schon zwei Bier getrunken.«
    »Von mir
aus.« Sie gingen zum Käfer, der mit dem Heck auf die
Fahrbahn ragte.
    Als Stefan
aufschließen wollte, sah er den Wisch am kleinen
Scheibenwischer klemmen. Ein Strafzettel, weil er
»verkehrsgefährdend« geparkt hatte. Ein gefundenes
Fressen für eine zufällig vorbeikommende
Streifenwagenbesatzung. »Mist«, grollte er und nahm das
Knöllchen an sich. »Diese Aasgeier, das waren doch
höchstens fünf Minuten, außerdem war es ein
Notfall.«
    Sie stiegen ein, und
wütend startete Stefan den Motor.
    »Geben Sie
her.« Ulbricht streckte die Hand nach dem Ticket aus und nahm
es an sich. »Ich werde mich darum kümmern, gleich
morgen. Manchmal sind die Kollegen etwas übereifrig.« Er
grinste schief und ließ den Strafzettel in seiner Hemdstasche
verschwinden. »Wissen Sie eigentlich, wie lange ich nicht
mehr in einem Käfer gesessen habe?« Ein sentimentales
Lächeln lag auf seinen Lippen. »Ich habe den
Führerschein in einem Käfer gemacht. Ein Käfer war
mein erstes Auto, und im Käfer habe ich … Sie
müssen nicht wissen, was man mit den Halteschlaufen an den
B-Säulen alles machen kann, wenn die Sitze erst einmal
umgeklappt sind und man mit seinem Mädchen auf einer
verschwiegenen Waldlichtung im Nordpark alleine ist. Und damals, im
Autokino in Schwelm, es gab einen blechernen Lautsprecher und eine
kleine Heizung, damit man sich in den knapp zwei Stunden, die der
Film dauerte, nicht den Hintern abfror. Mein Gott, ich habe so
verdammt viel erlebt in einem solchen Auto.«
    Stefan hatte ein
Déjà-vu. So etwas hatte er heute schon einmal
gehört. Von Elfriede Winter. Er berichtete dem Kommissar von
der alten Dame. »Sie war so freundlich, mich über Dr.
Brechtmanns Verbleib zu unterrichten.«
    »Wie
bitte?« Ulbricht umklammerte den Haltegriff über dem
kleinen Handschuhfach. Er blickte Stefan wie elektrisiert an.
»Das sagen Sie mir erst jetzt?«
    »Sie sind nicht
ans Telefon gegangen«, erinnerte Stefan ihn.
    Sie hatten die
Kreuzung Fischertal/Gewerbeschulstraße erreicht, und Stefan
ordnete sich rechts ein. Als die Ampel an der ehemaligen
Fischertalapotheke auf Grün umsprang, gab er Gas. Jetzt befand
sich auf der Ecke eine Fahrschule. Stefan fragte sich, ob sich die
Menschen das Autofahren überhaupt noch leisten konnten, bei
der anhaltenden Panikmache zur Finanzkrise und den immer weiter
steigenden Fahrzeughaltungskosten. Die beiden mächtigen
Türme des Heizkraftwerks ragten in den Abendhimmel über
Barmen.

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