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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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über die Karte gebeugt, und bekam einen freundschaftlichen Rippenstoß als Quittung.
    Antonia und Wanda verließen unauffällig den Raum und kamen kurz darauf mit einem Bündel mit Bettzeug zurück. «Du fährst nicht nach Rondine. Es ist zu gefährlich», sagte Antonia. «Und dann bei Nacht über diese Behelfsbrücke. Nein. Du kommst mit zu mir. Wir haben im Tal so eine Art Ferienhaus. Früher hat da mal der Kellermeister und seine Familie gewohnt. Jetzt steht es leer, da findet dich niemand.»
    Frank fand den Vorschlag höchst akzeptabel. «Und dein Mann?»
    «Der hat es längst vergessen, der war hundert Jahre nicht mehr da unten.»
    Der Waldweg, auf dem Frank mit seinem Wagen Antonia folgte, war selbst bei Tag kaum befahrbar. Da beide mit Standlicht fuhren, konnte Frank sich nur an ihren Rücklichtern orientieren.
    Die neue Unterkunft, die dritte seit seiner Ankunft, war lange nicht gelüftet worden und roch muffig. Wasser war vorhanden, es kam aus einer nahen Quelle, elektrisches Licht fehlte, dafür gab es im Haus eine Petroleumlampe.
    Antonia umarmte ihn lange. «So gern ich bleiben würde», sagte sie schließlich, «ich muss noch einen Blick in die Kellerei werfen. Dafür kannst du dir deine Gesellschaft aussuchen: Füchse, Wildschweine, Eulen, was du willst.»
    Die Stille nach ihrer Abfahrt war anders als das Schweigen oben bei Wanda Livonardi, als er das Gespräch auf den Mord an Niccolò Palermo gebracht hatte. Kein Auto, kein Klappern von Maschinen, nicht einmal das Brummen des Kühlschranks in der Küche. Einfach nur Stille. Es war unheimlich, das eigene Herz schlagen zu hören oder das Rauschen des Blutes in den Ohren. Er hörte, wenn er einen Gegenstand berührte, er hörte, wie er das Wasserglas vom Tisch nahm, die Tür ins Freie öffnete und seine leisen Schritte auf dem Waldboden.
    Wie weit war es gekommen, dass er sich verstecken musste? Ob er morgen den Weg aus diesem Wald herausfand? Was tat Antonia in diesem Moment? Stritt sie mit dem Ehemann? Es musste eine Möglichkeit geben, sie aus seinen Klauen zu befreien, es gab fast immer eine. Auch für ihn selbst. Er würde das hier mit heiler Haut hinter sich bringen. Müsste, würde, sollte, könnte ...
    Als er sich erinnerte, dass Vipern nachts auf Jagd gingen, kehrte er ins Haus zurück und leuchtete in allen Räumen den Boden und die Wände ab. Nicht dass sich zu allem Übel auch noch Schlangen eingenistet hatten.
    Seine innere Uhr weckte ihn wie üblich um fünf. Antonia hatte wirklich an alles gedacht, auch an Handtuch, Seife und Zahnbürste. Der einzige Mensch, der sich sonst so um ihn sorgte, war Christine. Er nahm einen Eimer mit Schöpfkelle und ging zur nahen Quelle. Es war eigenartig, am frühen Morgen nackt im Wald zu stehen und sich eiskaltes Wasser über den Körper laufen zu lassen. Zum ersten Mal hatte er das Gefühl, hierher zu gehören.
    Punkt sieben Uhr traf er bei Fonterùtoli ein, porträtierte die beiden Brüder, die das Weingut leiteten, fotografierte von unten nach oben, was man eigentlich nie tun sollte, beide auf einer Brüstung. Die Bruchsteine der Mauer passten hervorragend zu ihren erdfarbenen Sakkos und den markanten Gesichtern. Eine gekonnte Verbindung aus Natur und Mensch, der beste Ausdruck für eine Familie, die seit fünfhundert Jahren diese nach Siena geneigten Hänge beherrschte.
    Als auch der Gärkeller und die Barriques fotografiert waren, die man mangels Raum auf viele einzelne Keller verteilt hatte, war es zu spät für das Frühstück in Castellina. Frank nahm an, dass Rionero pünktlich in der Pasticceria Gilli an der Piazza Repubblica erschien. Es war das berühmteste Café in Florenz, Carla Tuccanese hatte ihr Büro, soweit Frank sich erinnerte, zwei oder drei Straßen weiter.
    Er betrat das Café, das mit seinen holzgetäfelten Wänden, der Marmorplatte auf dem Tresen und versilberten Brotkörben aus einer anderen Epoche stammte. Die Uhr über der bleiverglasten Tür zum Speisesaal zeigte Viertel vor zehn. Frank war zu früh und setzte sich draußen an einen der Tische: Bauhaus-Stühle, doppelte rosa Tischdecken, von silbernen Klammern gehalten, und Kellner, die ihren Beruf noch gelernt hatten. Aber ein Frühstück nach seinem Geschmack hätte ihn 25 Euro gekostet, das gab der Spesensatz nicht her. Er beließ es bei einem Croissant und einem Cappuccino und genoss die Aussicht auf die Piazza.
    Auf dem Nebentisch lag eine herrenlose Zeitung, und Frank blätterte sich durch die üblichen Meldungen: Zank in

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