Bitterer Chianti
sich ab, lehnte sich an den Tresen und gab seine Bestellung auf. Der junge Mann neben ihm sah von seinem Cappuccino auf und hörte interessiert zu.
Er mochte Mitte zwanzig sein, trug eine rot-weiße Motorradmontur, deren Jacke offen über die Hüften baumelte, darunter ein bedrucktes T-Shirt. Sein schwarzes Haar war sehr kurz geschnitten, und er hatte ein überaus freundliches und entspanntes Gesicht. Den Integralhelm hatte er auf den Tresen gestellt, er erinnerte Frank mit dem heruntergelassenen Visier ein wenig an den Helm eines mittelalterlichen toskanischen Ritters.
Fassungslos sah der Biker zu, was der Barmann Frank alles auftischte: ein Tramezzino mit gekochtem Schinken und Salat, einen großen Teller mit Tomaten und Mozzarella, Brot, dann den üblichen Caffè Latte, und als der Barmann zuletzt ein Stück Blätterteig mit Spinat und Pecorino zum Heißmachen in den Grill schob, konnte sich der Fremde nicht zurückhalten.
«Wie kann man morgens nur so viel essen? Ist das alles für Sie?» Er starrte Frank an und schüttelte ungläubig den Kopf.
Überrascht hielt Frank beim Kauen inne. «Früh?», nuschelte er mit vollem Mund, blickte auf die Uhr. Es war bereits kurz nach acht Uhr. «Es ist nicht früh, non per me. Ich bin seit drei Stunden unterwegs, lavoro qui, ich arbeite hier.» Damit beugte er der Fragerei nach der Nationalität vor, sie ging ihm auf die Nerven, und er grenzte sich auf diese Weise von den Touristen ab. Wer nahm die schon für voll? – Aber immerhin ließen sie ihr Geld hier.
«Italiener sind Sie aber nicht, oder?»
Frank schob eine Tomatenscheibe in den Mund, um nicht antworten zu müssen, und schüttelte nur langsam den Kopf.
Die Augen des Nachbarn wanderten von Franks Teller zu der Plastiktüte. «Sind Sie, äh ... Fotograf?»
Frank folgte dem Blick seines Nachbarn. Mit ein wenig Phantasie ließ sich erraten, dass die Tüte vor ihm eine Kamera mit aufgesetztem Objektiv enthielt.
«Mhm», brummte Frank, bevor er sich den Mund abwischte und weitersprach, «die Kamera ist total kaputt, nur noch Schrott...»
«Zeigen Sie mal», sagte der Fremde, und es klang so bestimmt, als würde der Arzt sagen, dass man jetzt den Oberkörper freizumachen habe. «Oh ... sind Sie damit unter die Straßenbahn gekommen?», fragte er, als er die Kamera aus der Tüte zog.
«So in etwa ...»
Frank ließ ihn gewähren, obwohl er sonst niemals eine seiner Kameras aus der Hand gab. «Nebenan ist eine Werkstatt, mal sehen, ob die noch was machen können.»
Der junge Motorradfahrer nickte. «Ja, die Kamera ist hin, senza dubbio, ohne Zweifel, aber das Objektiv möglicherweise nicht. Sehr gut, sehr lichtstark. Man kann es retten, müsste man vermessen, ob sich die Linsen verschoben haben, vielleicht haben wir Glück...»
«Wieso wir?»
Der Barmann schmunzelte, und der Motorradfahrer zog einen Schlüsselbund aus der Hosentasche. «Ich gehe schon mal. Wenn Sie mit Ihrem äh ... Mittagessen fertig sind, kommen Sie nach, d’accordo ?»
«Dein Vater ist mal wieder vor dir da, Sergio», rief der Barmann, um das Zischen der Espressomaschine zu übertönen.
«Na und? Ist er doch immer.» Bevor Frank protestieren konnte, griff der Motorradfahrer nach der Kamera. «Ich heiße Folinari, Sergio Folinari, Feinmechaniker, spezialisiert auf optische Geräte, Digitalkameras, Rechner – molto piacere .» Grinsend schüttelte er Frank die Hand, legte eine Münze auf den Tresen und verließ die Bar. Frank sprang auf, um zu sehen, ob der Mann tatsächlich zur Werkstatt ging.
Frank stockte der Atem, als er sich auf seine schwere Maschine setzte, den Motor aufheulen ließ – nur um auf die andere Straßenseite zu fahren und direkt vor dem Eingang der Werkstatt anzuhalten. Der Wirt lachte über Franks entsetztes Gesicht und stellte ihm einen neuen Caffè Latte hin.
Während Frank sein Frühstück fortsetzte, erinnerte er sich an Palermos Weingut. Wieso war dort keiner, wenn sonst überall gearbeitet wurde? Weshalb kümmerte sich niemand um den Hund? Tore wurden nachts normalerweise abgeschlossen. Seltsam ...
Sergio Folinari war seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten. Allerdings trug dieser einen grauen Anzug und Krawatte, und an seinem Hals baumelte eine Lesebrille.
«Du glaubst nicht, was der morgens alles verdrücken kann», sagte Sergio, als er Frank in die Werkstatt führte und ihn seinem Vater vorstellte. Der hatte bereits das Objektiv von der Kamera gelöst und legte das Werkzeug beiseite.
Signor Folinari,
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