Bitterer Chianti
das Teleobjektiv vermessen und gerichtet und die Schadensmeldung formuliert. Als Vater und Sohn gegen 13.30 Uhr die Werkstatt schlossen, luden sie Franco noch zum Mittagessen ein, Sergios Frau hatte heute eine wunderbare schwarze Pasta mit Tintenfisch zubereitet, aber Frank sehnte sich nach Ruhe.
«Eines noch», sagte Signor Folinari, als er auf den Soziussitz stieg. «Wie ist das passiert? Wie haben Sie die Kamera so zugerichtet?» In dem Moment gab Sergio dröhnend Gas, und sein Vater brauchte beide Hände, um sich an seinem Sohn festzuklammern.
Erst jetzt kam Frank zu Bewusstsein, dass sie weder für die Reparatur noch für die Fahrt Geld genommen hatten. Beschämt machte er sich auf den Rückweg, erreichte eine Stunde später Spedaletto im Chianti Classico und bog vor dem Weiler links ab zum Büro des Consorzio.
Eine Mitarbeiterin des Winzerverbandes hatte seine Fototermine arrangiert. Vielleicht wusste sie, wo er Niccolò Palermo erreichen konnte? Aber um die Mittagszeit war niemand anzutreffen, auch das Restaurant gegenüber, ein flacher, mittelalterlicher Bau, die Albergaccio Machiavelli, war geschlossen. Hier also hatte der berühmte Mann nach seiner Verbannung aus Florenz gelebt. Nicht übel, dachte Frank, ein solches Exil würde er sich gefallen lassen, obwohl albergaccio eigentlich eine üble Kaschemme bezeichnete.
Auf dem Hügel gegenüber lag in der gleißenden Sonne die zweistöckige Villa Mangiacane, ein Prachtbau der Renaissance, und ein Stück unterhalb des sanft abfallenden Weinbergs ein weiteres Anwesen, beide hatten ebenfalls der Familie Machiavelli gehört. Frank hatte Il Principe , «Der Fürst», vor langer Zeit mal gelesen, aber jetzt, in der Hitze, war es zu anstrengend, sich an den Inhalt zu erinnern. Die Sonne stand hoch, die Schatten bildeten mit den Grundrissen der Objekte fast eine Linie und waren perspektivisch uninteressant, die Fülle des Lichts blendete, sie nahm allem die Farbe. Solange Frank die Augen zusammenkneifen musste, konnte er keine Aufnahme machen, dabei hätte er die F4 zu gern ausprobiert. Dass sie funktionierte, hatte er an dem Testfilm gesehen, den er vor dem Fotoladen gemacht hatte.
Müde ließ er sich auf den Autositz fallen, und als er gegen halb vier erwachte, summte sein Kopf wie ein Transformatorenhäuschen. Eine kalte Dusche wäre das Richtige, so aber nahm er mit dem Waschbecken auf der Toilette im Büro des Consorzio vorlieb und schüttete sich Wasser ins Gesicht.
Auf dem Korridor stürmte die für ihn zuständige Sachbearbeiterin in heller Aufregung vorbei, und Frank folgte ihr in den ersten Stock. Ana hieß sie, wenn er sich recht erinnerte, und gern hätte er ein wenig geflirtet, sie zum Essen eingeladen. Sie sah gut aus, war gepflegt und recht charmant, hielt ihn aber, wie beim ersten Besuch, mit einem Wortschwall auf Abstand.
«Ich erwarte jeden Augenblick eine Gruppe – achtzehn Journalisten aus Amerika.» Sie verdrehte die Augen. «Alles Männer. Die muss ich in den nächsten Tagen betreuen. Dio mio! Avvocato Strozzi hat sie eingeladen. Kennen Sie ihn? Nein? Sie werden ihn kennen lernen, er steht auf Ihrer Fotoliste, ist auch Winzer – aber in erster Linie Politiker ... Allianz Nazionale, wenn Ihnen das was sagt, nicht zu bremsen, will um jeden Preis Minister werden. Bei den Amerikanern bin ich auf ihn angewiesen.»
Frank erinnerte sich, wie ein Brasilianer ihn wütend darauf hingewiesen hatte, dass auch er «Amerikaner» sei, aber diese Amerikaner meinte Ana wohl kaum. Anscheinend hatte sich diese Ausdrucksweise in ganz Europa eingebürgert.
«Sie können sich nicht vorstellen, wie hilflos die sind», plapperte Ana weiter, «total unbeweglich. Eigentlich vermutet man das nicht bei Journalisten. Wenn irgendetwas nicht so ist wie bei ihnen, flippen sie gleich aus. Und dann die Angst, vor allem, sogar vor unserem Essen. Gestern, beim Mittagessen, wissen Sie, was die tranken?» Die junge Frau schüttelte fassungslos ihre langen blonden Locken. «Coca-Cola! – oder Pepsi, was weiß ich! Dabei standen unsere schönsten Chianti auf der Tafel ... ach, was rede ich. Hier, die Privatnummer von Niccolò Palermo.»
Sie reichte Frank einen Zettel. «Er hat ein Apartment in Florenz. Da wohnt seine Frau.» Sie zögerte, betrachtete stirnrunzelnd die Nummer und wählte dann selbst. «Eigentlich müsste er auf der Azienda sein. Ich verstehe das nicht...» Sie hielt mit der Hand die Sprechmuschel zu. «Einen Espresso?»
Als Frank nickte, bedeutete sie ihm
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