Bitterer Chianti
Städtchen einen schauerlichen Anblick. Aber bald schon fuhr er über die hübsche Platanenallee, an der auch das Polizeirevier lag, an das er heute lieber nicht dachte.
Frank drosselte unwillkürlich das Tempo und musterte die geparkten Wagen. Er suchte einen Landrover, dunkel, mit getönten Scheiben, soweit er sich erinnerte, ziemlich dreckig, aber ein neues Modell. Er zuckte zusammen, als er ihn entdeckte. Genau, das war er! Mit Genugtuung stieg er aus und fotografierte den schwarzen Landrover Discovery und das Nummernschild. Eine Aufnahme machte er mit der Polaroid, so hatte er ein Bild, das er gleich der Polizei vorlegen würde. Jetzt kam er um einen erneuten Besuch bei den Carabinieri doch nicht herum.
Das Hochgefühl wich jedoch der Enttäuschung, als er hundert Meter weiter auf den nächsten Offroader stieß, einen VW Touareg, genauso schwarz wie der Landrover, aber vielleicht mit mehr Chrom. War das etwa der Wagen der Prediger gewesen? Sicherheitshalber fotografierte er auch ihn, aber als er danach noch einen M-Klasse-Mercedes am nördlichen Stadtrand sah, war Frank die Sinnlosigkeit seiner Suche bereits klar. Alle Wagen sahen für ihn ähnlich aus, er hatte sich nie sonderlich für Autos interessiert, und schließlich bauten auch noch Mitsubishi, Ford, Volvo, und wie sie alle hießen, ganz ähnliche Modelle. Missmutig und verärgert, dass die Tankstelle, wo er den Reifen hätte flicken lassen können, noch nicht geöffnet hatte, fuhr er weiter.
Auf der Landstraße war er fast allein, nur einmal begegnete ihm ein Lieferwagen einer Lebensmittelkette. Man hatte ihn gewarnt: Wenn in den nächsten Tagen die Traubenernte erst richtig begänne, wenn Sangiovese gelesen würde, die wichtigste Rebsorte des Chianti, wäre um diese Zeit kein Durchkommen mehr. Die Erntearbeiter rückten bei Sonnenaufgang aus, pausierten mittags und arbeiteten am späten Nachmittag weiter. Ein Winzer hatte berichtet, dass man im vergangenen Herbst sogar nachts bei Scheinwerferlicht gearbeitet hatte, weil die Trauben bei der Hitze von einem auf den anderen Tag reiften. Das könnten spannende Aufnahmen werden. Dazu brauchte er allerdings die neue Kamera ... Er gab Gas. Die Werkstatt lag östlich von Florenz, im Stadtteil Campi Bisenzio, laut Karte ganz einfach zu finden.
Vor Poggibonsi neigte sich die Landstraße dem Tal der Elsa zu. Frank folgte den Wegweisern zur Superstrada Firenze-Siena, bog zweimal rechts ab und war auf der Schnellstraße – mit Schlaglöchern und minimal gekennzeichneten Baustellen nicht gerade das, was er sich unter einer Superstraße vorstellte. Gefährlich wurde es an Baustellen mit nur einem Fahrstreifen, und nicht einmal die Lastwagenfahrer hielten sich an die Geschwindigkeit von 90 km/h. Frank passte sich an und war fünfzehn Minuten später kurz vor Florenz, fuhr westlich um die Stadt herum und fand die richtige Abfahrt.
Campi Bisenzio war kein Stadtteil von Florenz, sondern ein Schlafstädtchen mit Einfamilienhäusern in baumbestandenen Straßen. Außer hübschen Gärten und Supermärkten war hier nichts bemerkenswert. Die Galeria dell‘Accademia mit dem David von Michelangelo war weit, das Standbild mit dem knackigen Marmorhintern, von dem die Frauen schwärmten, zumindest Franks Bekannte. War es niemandem aufgefallen, dass dieser Mann viel zu große Hände hatte, im Vergleich zu sonstigen Körperteilen? Mit solchen Pranken konnte niemand eine Kamera bedienen. Hände sah Frank immer in Bezug auf das, was sie taten, und sie sagten verdammt viel über den jeweiligen Menschen aus. (Hatte Michelangelo dem David die großen Hände gemacht, weil seine eigenen so bedeutend waren – oder war die Replik vor dem Palazzo Vecchio missraten? An das Original erinnerte er sich jedenfalls nicht mehr so genau. Sicherlich Blasphemie, sich in dieser Weise über Davids Hände zu äußern, es gab keine schlimmeren Fanatiker als die Verfechter kultureller Mythen. Plötzlich sah Frank die behandschuhte Faust wieder auf sich zuschießen, ihm die Kamera entreißen, die Faust, die ihn niederschlug ... mit seiner guten Laune war es vorbei. Jetzt konnte ihn nur ein gutes Frühstück retten.
Nachdem er eine halbe Stunde lang durch den Ort gekurvt war, fand er die Werkstatt in einem Einfamilienhaus, aber sie war noch geschlossen. Dafür hatte die Bar an der nächsten Ecke geöffnet, und da die Türen weit offen standen, konnte er beim Essen die Werkstatt im Blick behalten.
Er legte die Plastiktüte mit der kaputten Kamera vor
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