Bitterer Chianti
den er auf Mitte fünfzig schätzte, blickte Frank an und nickte voller Mitgefühl. « Brutto , molto brutto , sehr schlimm, wie kann man einem Fotoapparat nur so etwas antun?» Als Frank die zarten Hände des Mannes sah, ganz anders als die Pranken von Michelangelos David, wusste er, dass er ihm jede Kamera anvertrauen würde.
«Ist mir runtergefallen – oben, in den Bergen ... ich fotografiere Weingüter ... und Kellereien, Winzer ...» Obwohl ihn niemand danach gefragt hatte, meinte er, sich für den Schaden entschuldigen zu müssen. Die Wahrheit jedoch behielt er besser für sich, sie schien ihm zu absurd.
«In den Bergen?» Folinari zog die Augenbrauen hoch. «Welchen Bergen? In den Appennini oder im Pratomagno?» Dabei schaute er seinen Sohn vielsagend an und fragte: «Runtergefallen?» Es war offensichtlich, keiner von beiden glaubte ihm das.
«An einem Abhang, noch hinter ... Fonterùtoli, falls Sie das kennen, der Boden ist da felsig, östlich, also ... über den Höhenrücken ...»
«Runtergefallen? Giammai», brummte er, «niemals, höchstens aus hundert Meter Höhe. Ma – mi e indifferente , mir soll’s egal sein.» Damit war das Thema beendet. «Die Kamera können Sie wegwerfen, sie hat einen Riss im Gehäuse. Das Röntgen sparen wir uns – Sie brauchen eine neue!»
Da Frank mit nichts anderem gerechnet hatte, nahm er die Nachricht gelassen auf. Er überschlug die Kosten des gestrigen Debakels. 2600 Euro hatte die F5 gekostet, verdammt viel Geld, aber er würde es von der Versicherung zurückbekommen und sich davon die neue kaufen. Außerdem brauchte er ein Handy. Hinzu kam die Rechnung dieser Werkstatt plus zwei Tage länger Arbeiten, Hin- und Rückfahrt Florenz – er gab sich einen Ruck. «Ich habe noch meine F3 und eine FM2, uralt zwar, aber sie funktionieren perfekt.»
«Was haben wir eigentlich gemacht, als es die modernen Dinger noch nicht gab?», fragte Folinari. «Die Mechanik kenne ich in- und auswendig, aber mit der Elektronik hapert es, das macht mein Sohn. Kameras können Sie bei Morganti kaufen, in der Via delle Oche. Ich rufe an, dann kriegen Sie Rabatt.»
«Ich bring ihn hin», sagte Sergio und wehrte Franks Protest ab: «Sie brauchen anderthalb Stunden, die Stadt ist dicht! So schlimm wie in diesem Jahr war es noch nie.» Fast wie zur Entschuldigung fügte er hinzu: «Für die Uffizien muss man sich zwei Wochen vorher anmelden.»
Der Gedanke an die verstopfte Innenstadt war alles andere als ermutigend, aber wie immer konnte Frank Hilfe nur schlecht annehmen. «Ich müsste aber auch noch bei der Bank vorbei, das kann dauern.»
Sergio hatte bereits seinen Helm aufgesetzt und hielt Frank einen zweiten hin. «Ich auch, also? Avanti ...»
Wenn Frank gewusst hätte, was ihn erwartete, wäre er zu Fuß gegangen, obwohl es bis ins Zentrum rund 15 Kilometer waren. Sergio fuhr nicht wie der Teufel – er war der Leibhaftige in Person. Er überholte rechts, dann links, dann wieder rechts, zwängte die 500er zwischen Autos und Bordsteinkante durch, missachtete jede zweite rote Ampel, schaffte die grüne Welle in der halben Zeit und beschleunigte so schnell, dass Frank sich hilflos an ihn klammerte. Trotz des Tempos war der Fahrtwind zu schwach, seinen Angstschweiß zu trocknen. Besonders gefährlich waren Begegnungen mit Vespa-Fahrern, die im historischen Zentrum auftauchten und, ohne Zeichen zu geben, in alle erdenklichen Richtungen auseinander stoben, wenn Sergio auf sie zuhielt. Aus den Augenwinkeln sah Frank, dass im Palazzo Strozzi eine Ausstellung stattfand. Ob tatsächlich Botticelli angekündigt war, konnte er schon nicht mehr lesen, sie waren längst vor der Piazza Repubblica zum Arno abgebogen.
Menschenmassen vor dem Dom, vor jeder Kirche. Auf der Ponte Vecchio sah es aus wie früher beim Schlussverkauf, und Luxusbusse entluden immer neue Reisegruppen, die zwischen dem Museo di San Marco und dem Palazzo Pitti unterwegs waren.
Später, als Frank mit der neuen Nikon F4 auf den Stufen der Nationalbibliothek wartete, überlegte er, ob er für den Rückweg nicht lieber ein Taxi nehmen sollte. Doch sich klammheimlich zu verdrücken war auch nicht seine Art, außerdem raste jemand am Ufer des Arno auf ihn zu und umrundete in extremer Schräglage die Piazza vor der Bibliothek. Sergio verstand überhaupt nicht, weshalb Franco, wie er ihn inzwischen nannte, Angst hatte. «An deinem Alter kann es nicht liegen. Mein Vater fährt leidenschaftlich gerne mit...»
Signor Folinari hatte
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