Bitterer Chianti
der alten Römerstraße, sollte die Grenze zwischen den beiden Republiken gezogen werden. Sehr fair, nicht wahr? Aber ... die Sieneser sind ... nun ja, nicht ganz so klug wie wir. Sie mästeten ihren Hahn, einen weißen übrigens. Klar, dass er faul wurde und fett – wir hingegen hielten unseren, einen kleinen, schwarzen, den Gallo Nero , knapp im Futter, der krähte morgens früh los. Also startete unser Reiter viel früher als der von Siena. Und wo trafen sie sich? Bei Fonterùtoli, wohin ich Sie morgen begleiten werde. Seitdem gehörten zwei Drittel des Chianti Classico zu Florenz, später natürlich alles, nachdem wir Siena erobert hatten.» Strozzi lachte.
Sein Englisch war bemerkenswert und auch seine smarte Art, wie er den Eindruck erweckte, als hätte er bereits damals aufseiten der Sieger gestanden. So hatte er die Journalisten schnell für sich eingenommen und zog weiter über die babbei, die Dummköpfe aus Siena, her.
Frank hatte genug von der Show – er hasste Selbstdarsteller – und fuhr zurück nach Castellina. Wie viel lieber war es ihm, allein zu reisen statt in einer Gruppe. Zusammen mit einem Journalisten – gut, man half sich, vier Augen sahen mehr als zwei, aber mit so einer Horde? Hinterher stand in allen Zeitungen dasselbe, und die Fotos glichen sich ebenfalls.
Er brachte den Reifen zur Tankstelle und kehrte zum Hotel zurück. Laura ließ ihn unbehelligt, sie tauchte erst auf, als er bereits auf der Treppe und nicht mehr einzuholen war.
Auf der Piazza del Comune vor dem Castello von Castellina wimmelte es von Touristen. Mühsam bahnte sich Frank kurz vor neun einen Weg durch die Menschenmenge. Er hatte Hunger und freute sich auf ein gutes Essen, der Kiefer hatte sich leidlich von den Schlägen erholt, die Schwellung war abgeklungen. Bis eben hatte er geschlafen und fühlte sich erholt.
Die Tische vor der Trattoria La Torre waren bis auf den letzten Platz besetzt, Engländer, Franzosen, Deutsche, Nord-und Südamerikaner und Schweden standen Schlange, kaum ein Wort Italienisch war zu hören. Drinnen jedoch, im einzigen großen Raum des Restaurants, herrschte eine entspannte Atmosphäre – hier waren die Einheimischen unter sich.
Der korpulente Mann an der Kasse im Durchgang zur Küche, Signor Stiaccini, war Besitzer des Restaurants und kannte Giacomo Paese, mit dem Frank verabredet war. Stiaccini zwängte sich hinter seinem Pult hervor und schob Frank zu einem Tisch am Fenster, wo sich ein sonnenverbrannter Mann erhob und ihn willkommen hieß. Er füllte ein Glas mit Wasser und schob es vorsichtig über den Tisch.
«Das einzige Getränk, das wichtiger ist als Wein», sagte er und setzte sich wieder. Paese erkundigte sich nach Franks Arbeit, fragte, welche Kellereien er fotografiert hatte, und lobte dabei die Art, wie andere Winzer ihr Land nutzten. Dann kam er auf morgen zu sprechen:
«Mein Betrieb steht Ihnen selbstverständlich offen, der Weinberg genauso wie der Keller. Sie können sich aufhalten, wo immer Sie möchten.»
Ein Arbeitstier, dachte Frank, als er die schwieligen Hände des Winzers sah; diesem Mann war kein Wetter zu schlecht und kein Weinberg zu steil. Er machte einen gewissenhaften Eindruck, er mochte konservativ sein, dem Neuen gegenüber skeptisch, aber letztlich doch den Kompromiss suchen, was Frank durchaus schätzte. Wie war dieser Mann am besten zu porträtieren? Im Anzug, mit einer Kiste voll Erde in den Händen und darin junge Weinstöcke.
Der Kellner brachte die Speisekarten.
Während Paese darin blätterte, sprach er weiter: «Sie fangen sicher früh an – sieben Uhr, si per Lei va bene , wenn Ihnen das recht ist? So, bevor wir weiterreden – wozu darf ich Sie einladen?»
«Ich verlasse mich ganz auf Ihre Empfehlung», sagte Frank.
Der Winzer winkte den Kellner zurück: «Bringen Sie uns Crostini alla Fiorentina, danach Tagliatelle al Sugo Norcino. Haben Sie heute Brassato al Vino? Wirklich? Gut, dann nehmen wir das als Hauptgericht.»
Der Kellner notierte. «Ein Dessert?»
«Gibt es etwas Besonderes?»
«Die Torta di Pere ist wunderbar ... die Signora hat sie heute selbst gemacht.»
«Bestens, das lassen wir uns nicht entgehen. Als Wein nehmen wir selbstverständlich meinen Chianti Classico, den von 2001, schön kühl bitte! Va bene?»
Giacomo Paese sah dem Kellner nach. «Es gibt viele Weine in den Kellern dieser Trattoria, bestimmt auch bessere als meine, obwohl das nicht so viele sein können. Vor zwanzig Jahren habe ich das Weingut von
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