Bitterer Chianti
Ihm wurde flau. Konnte der Consultore wissen, was sich an jenem Nachmittag oben auf dem Weinberg abgespielt hatte, dass er womöglich der Letzte war, der einen der beiden gesehen hatte? Denn entweder war der Winzer oder sein Sohn über den Hof gelaufen. Frank fiel ein, dass Palermo wahrscheinlich seinen Namen und das Treffen im Kalender notiert hatte, und den konnte jemand finden, außer er trug ihn bei sich. Auch das Consorzio wusste von der Verabredung, verdammt, auch im Protokoll der Carabinieri stand es ... Frank wurde heiß und kalt, irgendwann würden sie auf ihn kommen, nur weshalb ihm das Angst machte, wusste er nicht. Er griff nach dem Weißwein, und unter Scudieres lauerndem Blick verschüttete er etwas beim Eingießen. Oder hatte der Consultore ihn gar nicht so angesehen?
«Marco sagte, dass sie auch gestern Abend im Umweltbeirat darüber diskutiert haben», ergänzte Signora Malatesta. «Und? Seid ihr in der anderen Frage zu einem Ergebnis gekommen?»
«Welcher Frage?», wollte Scudiere wissen.
«Es geht um Neubauten und um Gutachten», sagte Malatesta. «Niccolò war an der Sache dran, aber es ist viel zu früh, darüber zu sprechen.»
«Du informierst mich doch rechtzeitig? Ich würde gern wissen, was hier läuft...»
«Ma naturalmente, amico », antwortete Malatesta lächelnd und prostete Scudiere zu, «du wirst der Erste sein ...»
Während man über den Sinn des Umweltausschusses debattierte, dachte Frank darüber nach, dass zwei der Winzer, die er in den letzten Tagen aufgesucht hatte, von Käufern angesprochen worden waren, und er platzte mit seiner Frage mitten in die Unterhaltung. «Wieso sind Makler bei den hohen Grundstückspreisen überhaupt an einem Kauf von Weingütern interessiert?»
Malatesta wischte sich mit einer Stoffserviette über den Mund. «Mein Wein gehört, dank Stefanos Hilfe, absolut zu den Besten hier. Da finden auch andere daran Gefallen. Die Toskana ist ausverkauft, alles wie leer gefegt, aber Leute mit Geld gibt’s genug. Es gehört mittlerweile zum guten Ton, ein Weingut zu besitzen, auch wenn man dort weder lebt noch arbeitet. Die letzten Immobilien haben Ausländer gekauft, Holländer, Deutsche, US-Amerikaner. Das Gebiet des Chianti Classico umfasst lediglich 7100 Hektar Rebland, das sich Chianti Classico nennen darf. Die Rebflächen dürfen nicht vergrößert werden.»
«Wenn jemand einen Baum fällt», warf Scudiere ein, «ist Marco der Erste, der die Polizia Forestale ruft...»
«So schlimm bin ich nicht», meinte Malatesta begütigend. «Die Weinberge mit Sangiovese, die zum kontrollierten Ursprungsgebiet gehören, wir nennen das Denominazione de Origine Controllata e Garantita, DOCG, sind registriert. Das steht auf der rosa Banderole, die oben über den Flaschenhals geklebt ist. Zwei Drittel davon verkaufen wir ins Ausland, davon dreißig Prozent in die Vereinigten Staaten, ein lukrativer Markt. Die würden Sangiovese gern selbst anbauen, im Napa Valley und im Bundesstaat Washington haben sie’s versucht. Klappt nicht, den Duft kriegen sie nicht hin, den Geschmack auch nicht. Dazu braucht es unsere Erde.» Die Genugtuung darüber war Malatesta deutlich anzusehen.
Das Weingut von Marco Malatesta lag westlich von Panzano. Bis nach Castellina brauchte Frank eine knappe Stunde. Im Hotel warf Frank alles in seine Koffer, vergaß auch nicht die belichteten Filme im Kühlschrank, hinterließ bei Lauras Mutter als neue Adresse ein Hotel in Gaiole (wo Laura ihn garantiert nicht auftreiben würde) und zockelte in der Staubwolke eines Campingbusses über die Schlaglochstrecke nach Vagliagli und weiter zur Tenuta Rondine.
Seine neue Unterkunft lag bei weitem nicht so verkehrsgünstig wie Castellina. Dadurch würden die Wege länger und wegen der schlechten Straße beschwerlicher. Andererseits hatte er bei Renato Benevole seine Ruhe und war mitten in der Weinlese. Etwas Besseres konnte ihm nicht passieren, hier würde er die Kamera nicht mehr aus der Hand legen.
Der Winzer begrüßte ihn herzlich, half, die Einzelteile der Blitzanlage über die Außentreppe ins Apartment im ersten Stock eines ehemaligen Wirtschaftsgebäudes zu bringen, und stellte alles im vorderen Raum ab. «Mehr haben Sie nicht? Lord Byron reiste damals mit fünf Kutschen und einigen Möbelwagen durch die Toskana.»
«Ich weiß», sagte Frank und suchte den Kühlschrank, um die Filme kühl zu lagern, «sein Koch war auch dabei.»
«Hier kochen Sie selbst.» Benevole zeigte Frank die kleine
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