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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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und im Nordwesten entstünden neue Terrassen mit Olivenbäumen, eher aus Gründen des Landschaftsschutzes als aus wirtschaftlichen Erwägungen, denn die Oliven eines Baumes ergäben lediglich einen halben Liter kaltgepresstes Extra Vergine. Im harten Winter von 1985 waren in der Toskana fast alle Olivenbäume erfroren. Weit im Süden kamen hinter grünen Hügeln die Türme von Siena in Sicht.
    Da knirschte der Kies auf dem Burghof unter den Reifen eines schweren, dunkelblauen Audi, und mit einer Entschuldigung auf den Lippen stieg Graf Solcari aus und kam mit ausgestreckter Hand auf Frank zu. Der Graf war groß, sehr schlank, sein volles Haar an den Schläfen leicht angegraut, und braun gebrannt wirkte er viel jünger, als er war. Der Kellermeister berichtete, was er dem Gast bereits gezeigt hatte.
    «Dann fehlt nur noch der Keller», sagte Solcari, «das ist das Wichtigste. Da lagert der Wein, das sind unsere Schätze. Das möchten Sie bestimmt fotografieren?»
    «Ist der Keller alt oder neu?», fragte Frank, denn auf seinen belichteten Filmen hatte er bereits etliche moderne Keller gesammelt. Es müsste schon etwas Ausgefallenes sein, damit er sich noch einmal die Mühe machen würde, die Blitzanlage die steilen Treppen hinunterzuschleppen.
    «Sind Ihnen 550 Jahre alt genug?»
    «Das klingt gut. Lassen Sie uns doch schon mal einen Blick hineinwerfen!»
    Graf Solcari ging voran, und als er die massive Tür aufschloss und in den dunklen Keller blickte, nahm sein Gesicht einen gequälten Ausdruck an: «Sie werden es sowieso erfahren. Ich komme eben ... ich, äh habe eben zwei Tote in einem Keller gesehen ...»
    «Waren Sie auf der Azienda von Niccolò Pal...»
    «Sie wissen davon?»
    «Man redet hier von nichts anderem. In der Zeitung steht es auch. Ich war vorhin in Vagliagli, als die Polizeikolonne vorüberkam. Was ist denn passiert? Wo hat man die beiden gefunden?»
    «Sie lagen in einer tiefen Grube, wo früher der alte Gärkeller gewesen ist.» Der Graf wirkte auf einmal sichtlich mitgenommen und zögerte, weiter in die finsteren Eingeweide seines Schlosses vorzudringen. «Bei der Gärung entsteht Kohlendioxid. Es ist schwerer als Luft, es sinkt immer an den tiefsten Punkt und reichert sich dort an. Bei Palermo ist im alten Keller eine Grube – da lagen Niccolò und sein Sohn drin. Den Vater hat man erschossen, beim Sohn dachte man zuerst, er sei erstickt, aber dann hat man gesehen, dass er zusammengeschlagen wurde, Schädelbruch.»
    «Weiß man schon ...»
    Der Graf schüttelte sichtlich bewegt den Kopf: «Wer es war? Nein! Das wollen natürlich alle wissen. Im Moment sind wir noch zu geschockt von dem Verbrechen. Jeder fragt sich natürlich, wer so was Abscheuliches tut – und vor allem, weshalb. Was steckt da für ein Motiv dahinter? Palermo hatte keine Feinde.»
    Das wurde anfangs immer gesagt, später erst wurden die merkwürdigsten Verwicklungen deutlich. «Wie alt war Palermos Sohn?»
    «Sechzehn. Wer bringt einen sechzehn Jahre alten Jungen um? Was sind das für Menschen, was sind das für Zeiten?»
    «Früher war es hier nicht besser», murmelte Frank.
    Graf Solcari verstand die Anspielung. «Sind Journalisten und Fotografen eigentlich immer so abgebrüht?»
    «Wer kann sich schon aussuchen, was er sehen will?»
    «In Ihrem Beruf ist es extrem.»
    «Ich lebe davon, dass ich die Augen offen halte, ansonsten sind Polizeifotografen schlimmer dran oder Leute wie der berühmte Sebastião Salgado, die nur im Elend der Menschheit wühlen, Hungerkatastrophen in Bildstrecken verwandeln oder als Kriegsberichterstatter im Irak arbeiten. Man ist da, etwas passiert, und man hält drauf. Es gibt allerdings auch Kollegen, die hecheln nur Sensationen nach, dem einen Foto.» Frank nahm die Fototasche wieder auf. «Lassen Sie uns weitergehen. Ich möchte ein Porträt von Ihnen machen, da vorne, in dem Bogen, mit ganz wenig Licht im dunklen Hintergrund. Sie stützen sich auf das letzte Barrique, nehmen ein Glas mit ein wenig Wein ...»
    Das Porträt gelang und auch die Außenaufnahmen, aber mit den Fotos im Keller wurde es nichts. Solcari war unkonzentriert, alle fünf Minuten klingelte das Handy wegen der Mordopfer. Auch Frank beschlich ein mulmiges Gefühl, eine diffuse Unruhe. Solcari gelang es schließlich doch noch, sie beide von den entsetzlichen Ereignissen des Tages abzulenken und sich seinem Besuch zu widmen. Schließlich waren sie nicht zu ihrem Vergnügen hier, und das Geschäft musste weitergehen. Der Graf

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