Bitterer Chianti
ließ einen Imbiss ins Probierzimmer bringen.
«Unsere Weine aus den letzten zehn, fünfzehn Jahren. Alles vor 1983 oder 1984 können Sie getrost vergessen. Ein Chianti Classico sollte früh getrunken werden, eine Riserva nach fünf bis zehn Jahren. Also auf den Schreck hin ...! Zum Wohl.» Er hob sein Glas. «Wir machen eine vertikale Probe. Sie trinken immer denselben Wein, nur der Jahrgang wechselt. Das erleichtert den Vergleich, da die Weine meist einem ähnlichen Konzept folgen. Nur haben wir vor einiger Zeit die Zusammensetzung geändert. Wir verschneiden heute mit Cabernet Sauvignon statt mit weißen Rebsorten. Viel wichtiger allerdings ist, dass wir die Erträge reduziert haben.»
Nach einigen Gläsern Wein kamen sie auf das Leben jenseits der Arbeit und damit auf ihre Kinder zu sprechen. Solcari war Witwer und zog die Kinder selbst auf. Frank erzählte von seiner gescheiterten Ehe, von Christine und den gemeinsamen Ferien, worauf der Graf ihn einlud, einige Tage mit ihr auf Monteluna zu verbringen. Nach der Lese würde er sich gern etwas Zeit für sie nehmen.
Die Männer redeten, tranken und aßen, und Frank bemerkte erfreut, dass seine Nase wieder normal funktionierte, als er den Duft des vierten oder fünften Chianti einsog. Er bemerkte die Unterschiedlichkeit der Weine, fühlte sie anders am Gaumen, mal rauer, mal samtig, je älter, desto feiner, und sie hielten unterschiedlich lange nach. Nur um das alles zu benennen, dafür fehlten ihm die Worte.
«Das lernt man», beruhigte ihn der Graf, dem die Probe sichtlich gefiel. «Wichtig ist die Wahrnehmung. Und wenn man wirklich etwas zu sagen hat, findet man auch die passenden Worte.»
Er nahm ein Glas, schnupperte und stellte es auf den Tisch zurück. «Im Moment suche auch ich nach Worten, denn ich möchte Sie um einen Gefallen bitten.»
Frank war gespannt – womit, außer mit seiner Kamera, konnte er dem Grafen helfen?
«Ich muss Sie bitten, unser Gespräch absolut vertraulich zu behandeln. Ich habe mit einigen Winzern über Sie gesprochen, man kommentiert natürlich Ihre Arbeit.»
Frank nickte. Wie hätte er dem Grafen einen Gefallen verweigern können?
«Als Präsident des Consorzio muss ich die Interessen unseres Verbandes im Auge haben. Das geht nur, wenn ich weiß, was passiert. Ich kenne Ihren Arbeitsplan, Sie kommen viel herum, doch was man Ihnen zeigt, ist nicht unbedingt die Wirklichkeit. Verstehen Sie mich nicht falsch!» Der Graf hob die Hände. «Sie sprechen Italienisch, Sie sind unparteiisch, Sie hören viel. Und zurzeit passiert hier etwas, ich weiß nur nicht was. Können Sie mir folgen?»
Frank nickte, schob ein Stück Parmesan in den Mund und spülte mit einer Riserva von 1996 nach.
«Bei Giacomo Paese wurden die Strommasten abgesägt, im Zusammenhang mit dem Brand bei Malatesta wurde von Brandstiftung gesprochen. Und wie wir seit heute wissen, wurden Palermo und sein Sohn ermordet. Was meinen Sie: Besteht da ein Zusammenhang? Man hat seinen Terminkalender gefunden – Ihr Name steht als Letzter drin ...»
8
Samstag, 2. Oktober
Eine Gestalt trat plötzlich aus dem Schatten des Torbogens. Frank fuhr erschrocken zurück.
«Keine Sorge, ich bin’s», sagte Renato Benevole laut, und der Besitzer der Tenuta Rondine kam ins Licht der Laterne; sie beleuchtete die Treppe zu Franks Apartment. «Wie war‘s bei unserem Grafen?»
Frank schnappte laut nach Luft. «Haben Sie mir einen Schreck eingejagt. Schöne Weine macht er, nur leider wird man davon betrunken. Ich wollte eigentlich meinen Führerschein behalten ...» Frank wusste nicht, was er noch sagen sollte, denn dass Renato Benevole mitten in der Nacht auftauchte, um mit ihm zu plaudern, hielt er für unwahrscheinlich. «... ist irgendetwas nicht in Ordnung?» Wahrscheinlich war der Winzer wegen der Durchsuchung des Apartments gekommen.
«Sie haben von dem Doppelmord gehört?»
«Ja. Der Graf hat davon berichtet. Weiß man Näheres?»
«Nein. Aber ich habe schlechte Nachrichten für Sie.»
Frank erstarrte. «Ist meiner Tochter etwas passiert?»
«Calma, calma , immer mit der Ruhe», sagte der Winzer, als er Franks Erregung bemerkte, «nichts dergleichen. Aber die Polizei war hier!»
Frank wurde blass. «Die haben mein Apartment durchsucht, nicht wahr?»
«Ja, zwei Mann, ich habe sie reingelassen. Keine Sorge», fügte Benevole hinzu, als er Franks schreckgeweitete Augen sah, «ich war dabei, sie haben nichts mitgenommen. Sie sollen morgen um acht bei den Carabinieri
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