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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Christine kümmern und wahrscheinlich auch nichts bezahlen. «Gerade achtzehn geworden», antwortete Frank, und er ärgerte sich, das Thema angeschnitten zu haben. Schnell entstanden Vorurteile, die man später kaum ausräumen konnte. Dabei war es ihm wichtig, was diese Frau von ihm hielt, und gleichzeitig beunruhigte es ihn. «Christine kommt in zwei Wochen, sie fotografiert auch, wir wollen hier zusammen Urlaub machen.»
    «Das ist ja wunderbar. Mein Mann hat so etwas nie getan, die Kinder langweilen ihn. Na ja, wir leben ja auch seit zehn Jahren getrennt.»
    «Zehn Jahre? Kommt er nie her?»
    «Nur, um Schwierigkeiten zu machen. Er weiß bestimmt längst, dass Sie hier sind.»
    «Die Haushälterin?»
    Antonia Vanzetti sah Frank aus den Augenwinkeln an. «Sie haben ein gutes Gespür. Mein Erfolg mit dem Wein ist ihm gar nicht recht, er tut, als wäre es seiner. Die meisten Menschen reagieren so wie Sie neulich am Telefon ...»
    «Es tut mir Leid», sage Frank, und das tat es wirklich. Er hastete durchs Leben, nur die Kamera vor Augen, und trat dabei Leuten auf die Füße, die mehr waren als nur Motive zum Ablichten. Aber er konnte sich schließlich nicht Gedanken über jede Bäckersfrau machen, die ihm morgens die Brötchen verkaufte.
    «Das Licht ist noch gut, vielleicht gehen wir noch ein wenig herum, und wenn Sie später Zeit hätten ... in den nächsten Tagen ... ich habe da noch einige Fragen.» Wie schön, dass er einen Grund hatte, sie wiederzusehen, aber sich einfach mit ihr zu verabreden, traute er sich nicht.
    «Kommen Sie einfach vorbei, wir sind immer hier, vom Morgengrauen bis zur Dämmerung, und nachts in der Kellerei.»
    «Wenn ich Ihre Arbeit nicht behindere? Das Haus – ich würde es gern mal genauer von innen sehen, wenn das nicht zu indiskret ist?»
    Signora Vanzetti schaute auf die Uhr, und dann sah sie Frank lange an. Es machte nicht klick, es war eher wie ein Wind, der ihn in ihre Richtung schob. Er erwiderte ihren Blick.
    «Ich habe eigentlich überhaupt keine Zeit, doch – für Sie -was ist mit morgen Abend?»
    Frank willigte gern ein, wobei er versuchte, sich sowohl seine Verstörung als auch seine Begeisterung nicht anmerken zu lassen. Anschließend fotografierte er die Anlieferung der Trauben, dokumentierte, wie sie entrappt und vorsichtig gemahlen wurden. Dabei schwebte Antonias Bild vor seinen Augen, es hielt ihn vom klaren Sehen ab, und er musste sich zur Konzentration zwingen. Neu für ihn war, dass in der Kellerei und im Weinberg jeder Arbeitsplatz, bei dem es nicht auf Körperkraft ankam, mit einer Frau besetzt war. Statt eines Kellermeisters überwachte eine Kellermeisterin die Arbeiten, und für den Nachmittag hatte sich die Agronomin angemeldet, die, ähnlich wie Scudiere, Signora Vanzetti beriet. Frank konnte nicht auf sie warten, er wollte zurück nach Rondine, der Kühlschrank im Apartment war leer, er musste sich ausruhen, denn am Nachmittag hatte er einen Termin beim Grafen Solcari, dem Präsidenten des Consorzio.
    Gegen zwölf Uhr baute er seine Blitzanlage ab und verstaute die Einzelteile im Wagen. Noch einmal ging er zur Loggia und hielt vergeblich nach Antonia Vanzetti Ausschau. Vielleicht machte sie Mittagspause, genau wie die Pflückerinnen, die würden erst dann Weiterarbeiten, wenn es abgekühlt war. In der weiten Senke war kein Mensch. Am liebsten hätte Frank sich auf die Liege gelegt, die rechts im Schatten stand.
    Wie mochte sich jemand fühlen, allein, getrennt, die Kinder weit weg, Nieselregen im November oder verschneite Bergspitzen ringsum? Das Kaminzimmer war wunderbar, doch abends einsam vor dem Feuer? Da half auch der schönste Wein nichts. Er kannte das Leben als Single. Bestimmt hatte Antonia einen Liebhaber, eine Frau wie sie ... Im Anbau rechts waren die Büros, es gab eine Sachbearbeiterin für den Export und jemanden fürs Marketing. Vielleicht war das ihre Gesellschaft? Die Präsentationen auf Messen und internationalen Verkostungen bestritt sie selbst, wie sie erzählt hatte. Und wenn die Mitarbeiter nach Hause fuhren, was dann? Wenn es nichts zu tun gab, einfach Leerlauf? Die Stille hier musste ungeheuerlich sein. Sie erinnerte Frank für eine Sekunde an das Schweigen rings um die Azienda von Niccolò Palermo.
    Frank ließ den Wagen den Berg hinunterrollen. An der Nationalstraße 484 bog er links ab, das weinrote Castello di Brolio oben auf dem Berg blieb rechts liegen. Der schnellste Weg von hier aus nach Florenz führte über Siena und dann

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