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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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sein, in Castellina – es geht um den Fall Palermo.»
    «Am Sonntag? Weshalb?» Frank stellte sich dumm, aber er ahnte, was sie wollten, nachdem der Terminkalender aufgetaucht war. Außerdem stand alles im Protokoll vom Überfall. Er sollte zur Polizei gehen? Einen Dreck würde er tun, nicht zu diesen gewalttätigen Carabinieri. Außerdem musste er arbeiten, er konnte es sich nicht leisten, einen weiteren Termin sausen zu lassen ... mittags meinetwegen, aber das brauchte er Benevole nicht auf die Nase zu binden.
    «Noch eine andere Sache», sagte der Winzer, und Frank hatte den Eindruck, dass es ihm bereits Leid tat, ihn eingeladen zu haben. «In Ihrem Hotel in Castellina ist letzte Nacht eingebrochen worden, in das Zimmer, in dem Sie übernachtet haben. Sie scheinen da in irgendetwas involviert zu sein ...» Benevole schüttelte missbilligend den Kopf. «Ich erlaube mir kein Urteil, doch ich will keinen Ärger. Morgen beginnt die Lese. Klären Sie das mit der Polizei und mit dem Hotel bitte und sagen mir Bescheid, ja?»
    Im Gehen drehte er sich noch einmal um: «Ich wünsche Ihnen eine gute Nacht. Die letzte war wohl sehr kurz. Und -nehmen Sie das alles bitte nicht persönlich.»
    Wie soll ich es denn sonst nehmen?, fragte sich Frank und fühlte sich, als hätte ihm jemand einen Eimer Wasser über den Kopf geschüttet. Dio mio , was für ein Tag. Müsste er sich morgen schon wieder ein neues Quartier suchen?
    Frank schleppte die Fotoausrüstung ins Apartment und schloss die Akkus der Blitzanlage ans Stromnetz an. Es war zu spät, um sich noch etwas zu essen zu machen, zum Schlafen war er zu aufgeregt, also blieb ihm nur die Möglichkeit, sich müde zu trinken. Er ging zum Wagen und holte den Rotwein, den der Graf ihm in seiner freundlichen Art hatte mitgeben lassen. Zwei Glas waren gesünder als jedes Schlafmittel.
    Im Küchenschrank fand Frank den Korkenzieher, in der Vitrine waren Gläser und im Kühlschrank der Meeresfrüchtesalat, der eigentlich als Soße für die Pasta gedacht war. Frank duschte zum dritten Mal, zwang sich, an nichts zu denken, um einer Panik vorzubeugen, die ihm den Schlaf geraubt hätte. Er band sich ein Badelaken um die Hüften, öffnete das Fenster im Schlafzimmer und ließ sich aufs Bett fallen. Draußen war es dunkel, die Sterne glitzerten wie in einer klirrend kalten Nacht.
    Die Ereignisse der letzten Tage hatten sein Bild von der friedlichen Toskana grundlegend geändert. Sie hingen vermutlich alle miteinander zusammen – nur wie? Im Grunde gingen ihn die Menschen, denen er hier begegnete, gar nichts an, ob sie nun ihre Weingüter verkauften, sich gegenseitig den Wein verdarben oder die Strommasten durchsägten. Davon wollte niemand Fotos – und dafür wurde er auch nicht bezahlt. Und jetzt war er auch noch in einen Mordfall verwickelt worden. Hatte ihn jemand an dem fraglichen Morgen bei Palermo rumschleichen sehen? Dann käme er wirklich in – wie hieß das? -Erklärungsnotstand. Er müsste Scudiere dringend auf den Anwalt ansprechen, und er brauchte schleunigst ein Handy.
    Der Wein vom Berg des Grafen Solcari hatte etwas von ungeheurer Tiefe und fühlte sich hintergründig an, der Duft des Chianti erinnerte Frank an reife Brombeere, ganz entfernt konnte er sich Kirsche vorstellen und kargen Boden. Sollte nicht Veilchen typisch für Sangiovese-Trauben sein? Frank schnüffelte, steckte die Nase ins Glas, wie er es bei den Winzern gesehen hatte – nein, von Veilchen roch er beim besten Willen nichts. Er nahm einen Schluck, spülte den Mund und fragte sich, ob ein kräftiger Weißwein nicht besser zur Vinaigrette der Meeresfrüchte passen würde.
    Frank ertappte sich dabei, wie seine Gedanken abgeschweift waren. Morgen durfte er den Anruf bei Christine nicht vergessen, vielleicht hatte sie es bereits im Hotel versucht? Beim Verlag musste er sich melden, zumal die Bildredakteurin Oberländer aus dem Urlaub zurück war und wohl erst den Schreck verdauen musste, dass er den Auftrag bekommen hatte. Sie konnte ihn nicht riechen – noch ein unerfreuliches Kapitel.
    Aber dann erinnerte sich Frank an Antonia. Morgen würde er sie Wiedersehen, die so schöne, stolze und angenehme Frau. Aber – stimmte sein Bild mit der Wirklichkeit überein? Welche Seite an ihr war die echte? Die, die er bei der Verkostung in Siena kennen gelernt hatte, elegant, gewandt, eloquent, aus gehobenen Kreisen? Das war nicht seine Liga, das konnte er sich gleich abschminken. Oder hatte er die wirkliche Antonia im

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