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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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Weinberg erlebt, schlicht, zupackend, sicher, die ein Heer von Mitarbeitern – nein, Mitarbeiterinnen – führte? Das stand ihm näher. Sie hatte traurig auf ihn gewirkt. Kein Wunder, eine Frau, der man die Kinder vorenthielt, konnte kaum glücklich sein.
    Was schwebte dieser Signora vor? Ein heftiger Flirt? Eine kurze Affäre? Er hatte ihr gefallen, das spürte er, sonst hätte sie nicht für ihn posiert. Allerdings lag ihm nichts an kurzen Affären, und die Zeiten der One-Night-Stands hatten jeden Reiz verloren. Er konnte sich durchaus noch etwas anderes vorstellen, sofern ihm nicht Christine einen Strich durch die Rechnung machen würde. Und wenn nicht...?
    Kurz nach Sonnenaufgang fuhr Frank auf den Hof von Josti di Chiarli. Man war mitten in der Lese, konnte die Früchte eines Jahres einfahren, und der Sommer hatte die meisten Winzer verwöhnt.
    Als Frank einem Arbeiter mühsam klar machte, dass er den Winzer sprechen wollte, merkte er, dass die Stimmung auf dem Nullpunkt war. Was war hier los? War wieder ein Unglück geschehen?
    Der Arbeiter bekam kaum die Zähne auseinander: «Weiß nicht, wer das ist, kenne ich nicht.»
    «Sie wissen nicht, wem die Fattoria gehört, für die Sie arbeiten?»
    «Senti, hör mal. Wir sind heute hier, morgen da, übermorgen lesen wir woanders, was geht‘s mich an?»
    «Wer kennt sich hier aus?»
    Unwillig zeigte der Tagelöhner auf einen Mann mit Halbglatze, Backenbart und einem grauen Kittel. «Unser Vorarbeiter.» Schnell drehte er sich um und eilte in einen Schuppen, als der Vorarbeiter wütend zu ihnen hinübersah. Frank ging auf ihn zu und stellte die Frage erneut.
    «Sprechen Sie doch mit dem Kellermeister», sagte der Vorarbeiter. «Der kennt den Besitzer bestimmt. Ich kann Ihnen leider nicht sagen, wo der steckt, purtroppo. Ich bin nur für die Arbeiter zuständig, alles andere ...» Er zuckte mit den Achseln.
    «Sind Sie hier nicht angestellt?»
    Der Vorarbeiter lachte bitter. «Angestellt? Bei wem?»
    «Bei Josti di Chiarli.»
    «Wer soll das sein?»
    «Na, der Winzer ...»
    «Angestellt? Sie träumen wohl? Wir sind Tagelöhner, ohne jede Sicherheit, werden nach Hektar bezahlt, Akkord eben. Uns gibt es nur noch, weil sie noch keine Maschinen erfunden haben, die uns auf den steilen Hängen ersetzen könnten. Was Akkord bei der Hitze bedeutet, können Sie sich nicht vorstellen.»
    «Eine Frage noch», sagte Frank, als der Vorarbeiter sich zum Gehen wandte. «Wo sind die Leute, die vorher hier gearbeitet haben?»
    «Wegrationalisiert, alle entlassen. Der da unten», der Vorarbeiter zeigte auf einen sehr kräftigen, rothaarigen Mann mit Sommersprossen, «der da ist für alles verantwortlich. Der führt jetzt das große Wort – wenn ihn einer versteht.» Damit drehte er sich um und ging.
    «Wie heißt er?», rief Frank ihm nach.
    «Keine Ahnung, kann mir ausländische Namen nicht merken. Nennt sich Flying Winemaker, ist wohl Consultore.»
    Es gab sicher viele, die einem ähnlichen Beruf wie Scudiere nachgingen. Selbst wenn der Sommersprossige als Flying Winemaker von Gut zu Gut zog, würde er zumindest wissen, wo er den Winzer finden konnte. Merkwürdig war die Gleichgültigkeit auf dieser Fattoria schon.
    Der Önologe hatte Frank bemerkt, kam herüber und begrüßte ihn mit einem gekünstelten buon giorno. Beim Sprechen verzog er die rechte Gesichtshälfte und rollte das r von giorno , als hätte er etwas Heißes im Mund. Nichts an dem vierschrötigen Mann erinnerte im Entferntesten an einen Italiener. Er war rotblond, hatte einen Sonnenbrand auf Stirn und Unterarmen, war untersetzt, aber sportlich, trug ein rot kariertes, kurzärmeliges Hemd und eine staubige Hose. Besonders auffällig war sein dicker Hintern.
    Der Mann musste Amerikaner sein – vor Franks innerem Auge tauchten sofort unangenehme Erinnerungen auf.
    «Questa terra privata », sagte der Winemaker in gebrochenem Italienisch mit starkem Akzent. «No foto!»
    «Sie meinen, dass es sich hier um Privatbesitz handelt und ich nicht fotografieren darf», antwortete Frank auf Englisch.
    Sein Gegenüber nickte, aber dadurch wurde er keineswegs verbindlicher. «Sie müssen das Gelände sofort verlassen, wir arbeiten hier hart, und was wir tun, ist nicht für Außenstehende bestimmt! Gehen Sie!», fiel er jetzt in seine Muttersprache zurück.
    «Ich will Josti di Chiarli sprechen. Oder seinen Kellermeister.»
    «Wir verkaufen keinen Wein an Touristen.»
    «Ich will keinen Wein kaufen, ich will auch nichts probieren.

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