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Bitterer Chianti

Bitterer Chianti

Titel: Bitterer Chianti Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Grote
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wirft nichts um, aber er ist überhaupt nicht mehr ansprechbar. Wir haben seine gesamte Ernte gerettet, und er stiert apathisch vor sich hin. Alles scheint ihm egal, der Verlust seiner Pferde hat ihn gebrochen.»
    «Pferdehalter sind eine komische Sorte Mensch», erklärte Frank, «die bringen sich um für die Tiere, die hungern lieber, als dass sie ihr Pferd verkaufen. Was man ihrem Pferd antut, das tut man ihnen an. Das ist irgendwie eine archaische Beziehung, ähnlich wie bei Hunden.»
    «Ja, stimmt, mein Mann behandelt seinen Hund besser als die Kinder, von mir will ich gar nicht reden.»
    «Womit wir wieder beim Thema wären.» Frank stöhnte. «Eine letzte Frage habe ich noch. Kannst du dich an die Verkostung erinnern, in Siena? Dieser eine Winzer, er war völlig aufgelöst...»
    «Meinst du Giorgio, Giorgio Amarone? Er hat seine Weinberge zwischen Radda und Gaiole. Kennst du die Villa Vistarenni, dieses Hotel, das so aussieht wie eine barocke Filmkulisse?»
    Frank erinnerte sich, dort mehrmals vorbeigekommen zu sein. Ihm war dieses Gebäude natürlich aufgefallen, es war geradezu ein Fremdkörper in der Umgebung.
    «Dort hat er sein Podere, wenn du von Radda kommst, musst du dich links halten.»
    Antonia stand auf und stellte sich neben Frank ans Fenster. «Könntest du dir vorstellen, hier zu leben?»
    Frank sah Antonia erstaunt an, die seinem Blick auswich und ins Tal schaute, wo ihre Pflückerinnen an der Arbeit waren. Ein kleiner Raupenschlepper zockelte mit einem Hänger voller Trauben den Berg herauf. Auf dieses Thema war er überhaupt nicht vorbereitet, deshalb antwortete er ganz spontan: «Wenn ich wüsste, wovon ich leben sollte ...»
    «Wovon du auch heute lebst. Fotografiere, fotografiere Weinberge, Rebstöcke, Trauben, Menschen bei der Arbeit, Keller, alte und moderne Anlagen, Verkostungen, das Umfüllen von Wein, die Barriques, mach Aufnahmen von alten Mauern, schönen Castelli, der Wein bietet dir eine ganze Welt. Wenn du deine eigene Sicht der Welt und der Menschen hast und das in Bildern ausdrücken kannst, dann findest du auch überall Arbeit.»
    «Antonia! Wie kannst du so etwas sagen und dich vertreiben lassen, aufgeben?»
    «Wie soll ich unter diesen Umständen vernünftigen Wein machen? Ständig mit der Bedrohung leben, alles zu verlieren, wenn er es will? Ich bin einfach müde.»
    «Geh nicht weg, sondern mach einen Wein, einen großartigen, an dem niemand vorbeikommt, selbst dein früherer Mann nicht. Und dein Mann ist er wohl schon lange nicht mehr.»
    «Nein, seit zehn Jahren nicht mehr, nur auf dem Papier.»
    «Mach diesen Wein zum besten, den du in deinem Leben gekeltert hast. Du könntest ihn Lacrime taufen, nein, Tränen ist zu traurig – nenn ihn Commiato , Abschied ist besser – Abschied vom Alten, um endlich anzukommen.»
    «Darin bist du wohl Experte, oder? Du bist es so gewohnt, heute hier und morgen woanders, setzt dich ins Flugzeug, ins Auto, und fährst einfach weiter. Hast du je daran gedacht, irgendwo zu bleiben?»
    Jetzt wurde es schwierig. Frank spürte, wie es in ihm kribbelte. Anderen einen guten Rat geben war einfach, aber ihn selbst zu beherzigen war eine ganz andere Sache.
    «Dein Mann ist doch ein Mensch, oder?»
    Antonia sah ihn verständnislos an. «Physisch gesehen, ja.»
    «Jeder hat Schwachstellen, jeder hat etwas, wo er verletzlich ist, niemand ist unbesiegbar. Was ist sein wunder Punkt?»
    «Er missgönnt mir meine Unabhängigkeit, er hasst Stärke bei anderen. Er kennt nur Sieger und Verlierer, und er selbst muss immer der Sieger sein. Wer hat diesen Mist eigentlich aufgebracht, die Welt nach Siegern und Verlierern einzuteilen? Massimo will, dass ihm jeder aus der Hand frisst, Widerspruch duldet er nicht...»
    «Das meine ich nicht», sagte Frank. «Wo ist er angreifbar? Was weißt du über seine Geschäfte?»
    «Ich werde darüber nachdenken, Franco. Aber mach dir keine zu großen Hoffnungen. Das haben schon ganz andere vor dir versucht, aber Massimo ist ein schlauer Fuchs. Jetzt geh bitte. Ich möchte nicht, dass er dich hier findet.»
    «Na und? Dann wird er sich endlich auf andere Verhältnisse einstellen müssen.»
    «Wozu die Mühe? Du verschwindest ja doch wieder ...»

11
    Montag, 4. Oktober
    «Es sieht ganz so aus, als bekämen wir Besuch», sagte Wanda Livonardi, beschattete die Augen mit der Hand und starrte angestrengt ins Tal.
    Tief unten stieg eine weiße Staubwolke auf, mitten zwischen den grünen Weinbergen und den silbern schimmernden

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