Bitterer Chianti
dritten Absatz las Frank: «Die Behörden prüfen gegenwärtig die Verstrickung eines deutschen Fotografen in den Mordfall, der im Chianti Classico eine Fotoreportage über die besten Weingüter macht. Commissario Sassarella aus Castellina , einer der erfahrensten Ermittler der hiesigen Carabinieri , weist den Verdacht nicht von der Hand , dass andere, bisher nicht bekannte Gründe hinter der Anwesenheit des Fotografen stehen.»
Frank war blass geworden und ließ die Zeitung sinken. «Stammt das von Ihnen?»
«Nein. Das wird wohl Ihr Freund Sassarella gewesen sein.»
«Kann ich die Zeitung mitnehmen?»
Aus sicherer Entfernung und ohne dass Rionero es bemerkte, machte Frank Aufnahmen von ihm, einmal im Profil, einmal von vorn, wie bei einer erkennungsdienstlichen Behandlung.
«Bitte, Franco, geh», flehte Antonia. «Ich habe dir schon am Telefon gesagt, dass ich keine Zeit habe. Weshalb kommst du dann noch her? Die Ernte, versteh doch, wir haben alle Hände voll zu tun. Nachdem du weg warst, habe ich noch bis drei Uhr gearbeitet.»
«Ich wollte nur mal schnell vorbeikommen und dich sehen, ich wollte dir erzählen, dass ...» Frank wedelte mit der Zeitung herum.
«... es geht nicht, wirklich nicht! Ich kann nicht. Versteh mich doch bitte ...»
«... was soll ich verstehen? Erst küsst du mich, freust dich riesig, dass ich komme, und jetzt bist du nur noch abweisend.» «Machs mir nicht so schwer, bitte.»
«Dann sag, was los ist. So kann ich nicht gehen.»
Antonia stützte verzweifelt den Kopf in die Hände: «Massimo kommt, mein Mann! Er kann jeden Augenblick hier aufkreuzen.» Antonia biss sich auf die Lippen und starrte auf den Boden. Mit dem Fuß fuhr sie die Ritzen zwischen den Steinplatten entlang, mit denen ihr Büro ausgelegt war. Frank hatte den Eindruck, dass sie mit den Tränen kämpfte. «Zum ersten Mal seit langem wage ich etwas, ja, Franco, ich würde dich gerne kennen lernen, sehr gerne sogar, und sofort kriege ich die Quittung.»
Als sie den Kopf hob und ihn ansah, waren ihre Augen feucht. «Er will mir jetzt auch noch das Letzte nehmen, was mir geblieben ist. Er will die Weinberge und die Kellerei verkaufen, das Haus, die Maschinen, die schönen alten Weine im Keller, einfach alles.» Antonia atmete heftig, als bekäme sie keine Luft. «Ich soll verschwinden, einfach verschwinden. Und das sofort – mitten in der Ernte. Ehebrecherin hat er mich genannt, dabei ist er der puttaniere, dieser Hurenbock. Das war er von Anfang an, nur ich hab‘s viel zu spät begriffen. Immer, immer hat er mit jungen Mädchen rumgemacht, die durften nicht älter als achtzehn sein, so wie ich bei meiner Hochzeit. Er muss wohl einfach das Gefühl haben, dass er angebetet wird. Und als ich die kleinen Kinder hatte, war endgültig alles vorbei. Sind denn alle Männer so?», fragte sie herausfordernd.
Frank zuckte mit den Achseln. «Viele ja, viele nicht, man kann den Menschen nur bis vor die Stirn sehen, das ist auch mein Dilemma als Fotograf. Ich kann nur das abbilden, was ich sehe, und meistens sieht jeder etwas anderes, meistens das, was er sehen will. Was wirklich ist, was da drinnen passiert», er tippte mit dem Finger aufs Herz, «das bildet sich nicht unbedingt auf der Oberfläche ab. Man kann das Sehen trainieren, so wie ich es mit Christine mache. Aber im Grunde genommen kommt man nicht drum herum, die Menschen kennen zu lernen, mit ihnen zu leben.»
«Demnach muss man also immer etwas wagen, um es herauszufinden?»
«Das ist unser Schicksal. Was ich mich frage, seit du mir von dir erzählt hast – deine Eltern leben doch noch, oder?»
«Worauf willst du hinaus? Ja, sie hatten ein Weingut bei Gaiole, wo ich aufgewachsen bin.»
«Du hast mit ihnen gelebt, du kanntest sie. Und was sagten die zu deinem Mann und seinem Verhalten?»
Antonia suchte lange nach einer Antwort und fuhr sich immer wieder durchs Haar. «Massimo Vanzetti hat sie gekauft. Sie fanden ihn großartig, von Anfang an. Mein Vater sagte, ich solle das tun, was Massimo sagt, gehorchen. Männer mögen keine starken Frauen, und besonders dann nicht, wenn sie ihnen geschäftlich Konkurrenz machen. Aber ich glaube, dass er in Wirklichkeit Angst vor Massimo hat.»
«Und deine Mutter?»
«Sie meint, ich wäre dumm, dass ich mir von Massimos Geld kein schönes Leben mache und mir hier den Buckel krumm schufte. Ich würde schon sehen, was ich davon habe, alle würden sowieso mir die Schuld am Streit geben, und außerdem seien Männer eben so
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