Bitterer Chianti
Fragen auch hier stellen. Setzen Sie sich!» Das klang bereits viel ernster. «Erzählen Sie mir in aller Ruhe und ganz ausführlich von der letzten Nacht.»
Frank folgte der Aufforderung und hielt sich strikt an die Fakten. Aber er konnte nicht umhin, sich noch einmal über den Commissario zu beschweren. «Ich bin genau elf Tage hier. Am Donnerstag letzter Woche habe ich mit den Aufnahmen angefangen. Am Montag bin ich bei Palermo diesen beiden Männern begegnet. Abends habe ich die Anzeige gegen die beiden Männer erstattet. Zwei Tage später hat mich Ihr Commissario niedergeschlagen ...»
«Das ist nicht mein Commissario», sagte Rionero trocken.
«Die Schweinerei auf der Wache haben Sie selbst mitbekommen. Ich treffe mich morgen mit meinem Anwalt. Wir werden Anzeige erstatten, und Sie benenne ich als Zeugen.»
«Ich gebe Ihnen einen guten Rat, Signor Gatow, behalten Sie einen klaren Kopf.»
«Soll ich das als Rat oder als Drohung verstehen?» Mit Franks Geduld war es nicht zum Besten bestellt. «Letzte Nacht wäre er wieder auf mich losgegangen, wenn nicht so viele Leute da gewesen wären. Was ist mit dem Mann los? Was hat er gegen mich?»
«Er gehört noch zur alten Garde, erst schlagen – dann fragen. Außerdem hält er Sie für den Täter ...»
«... das ist doch Unsinn», unterbrach ihn Frank heftig. «Das weiß er selbst.»
«Aber eine letzte Frage bleibt: Was haben Sie Dienstag früh auf der Azienda von Niccolò Palermo gemacht? Ein Zeuge hat Sie gesehen.»
Frank erklärte es ihm. «Und dann habe ich dem Hund Wasser gegeben. Es könnte sein, dass meine Fingerabdrücke auf einem Eimer sind.»
«Wieso haben Sie das getan?»
«Was? Dem Hund Wasser gegeben? Sollte ich ihn verdursten lassen?»
«Verstehen Sie was von Hunden? Könnten Sie schätzen, wie lange der kein Wasser bekommen hat?»
«Ist das wichtig?»
«Ziemlich. Wir können nämlich wegen des Kohlendioxids den Todeszeitpunkt nicht genau bestimmen. Bei Sauerstoffmangel verläuft die Verwesung anders, sie geht in Fäulnis über. Aber wir arbeiten daran.»
«Am Vortag, als mich die beiden Männer niedergeschlagen haben, ist jemand über den Hof gelaufen. Von der Art her, wie er sich bewegte, nehme ich an, dass es der Junge war. Danach habe ich niemanden mehr gesehen.»
«Wann genau war das?»
Frank überlegte. «So um kurz nach vier Uhr. Ich war viel zu früh da ...»
«An den Wagen können Sie sich nicht erinnern.»
«Ja und nein. Ich glaube, es war ein Landrover, aber diese modernen Geländewagen sehen sich alle so ähnlich, deswegen kann ich wirklich nichts Genaueres sagen.»
«Und der Beschreibung der beiden Männer ist nichts hinzufügen?»
«Ich glaube, der Große war vom Typ her rothaarig.»
«Wieso fällt Ihnen das jetzt ein?»
«Weil ich da drüben gerade jemanden gesehen habe, der mich an den Mann erinnert. Er trägt ein grün kariertes Hemd.»
Der Rionero rückte den Stuhl nach hinten, drehte sich zur Seite und nestelte dann an seinen Schnürsenkeln. So konnte er in die angegebene Richtung sehen, ohne aufzufallen. «Ein Tourist. Vermutlich ein Skandinavier ...»
«... oder ein Ire: blass, rothaarig, Sommersprossen, etwas grobschlächtig. Beide sprachen Englisch, beziehungsweise Amerikanisch und Italienisch. Es gibt viele Nordamerikaner irischer Herkunft...»
Rionero rückte wieder an den Tisch. «Könnte der Unfall letzte Nacht etwas mit dem Tod der Palermos zu tun haben? Oder glauben Sie, dass der Mann zu Benevole unterwegs war, um heute – einen Graben auszuheben? Schwarzarbeit also, was die nächtliche Anfahrt erklären würde.»
«Nein! Die Winzer stecken bis über beide Ohren in Arbeit. Während der Ernte haben sie gar keine Zeit, sich mit Bauarbeiten abzugeben.» Kaum hatte er es ausgesprochen, fiel ihm Strozzi mit seiner neuen Kellerei ein.
Von seinem Verdacht, dass womöglich jemand die Weinlese von Renato Benevole sabotieren wollte, erzählte Frank auch Rionero nichts. Es war zu weit hergeholt, und weshalb sollte er dem Chef der Mordkommission mehr Vertrauen schenken als Avvocato Strozzi? Er hatte nicht die geringste Ahnung, was hier lief. Eines jedoch wusste er: Er musste sich die Prediger und diesen Commissario vom Leib halten. Wenn er genau überlegte, dann traute er hier niemandem mehr, ausgenommen vielleicht Stefano und Malatesta – und Antonia?
«Ich habe noch was für Sie», sagte Rionero und griff nach einer Zeitung. Auf der Titelseite wurde über die Ermittlungen im Fall Palermo berichtet. Im
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