Bitterer Chianti
Pflückerinnen unterbezahlt werden oder ob die Mafia Weingüter finanziert. Keinen Menschen interessiert es wirklich, ob da ein bisschen Chemie im Wein ist. Wir wollen diesen Weinführer im Weinhandel anbieten, also vermeiden Sie solche Themen. Hauptsache, die Bilder stimmen. Keine Ruinen, sondern Geranien, Zypressen, Ölbäume. Ich will keine dreckigen Hände sehen, keine verschwitzten Gesichter. Sie sind nicht Frank Capra und auch kein Giacometti. Schöner als die Wirklichkeit will ich es haben, blauen Himmel...»
«... den haben wir hier sowieso», unterbrach sie Frank und wunderte sich, dass er so ruhig blieb. Was die Oberländer von ihm verlangte, war ein Idiotenjob, das konnte jeder. Dazu war er nicht fünfzehn Jahre lang durch die Welt gereist. «Ihre Kollegin hat mir einen gänzlich anderen Auftrag erteilt. Nähe, Nähe zum Wein und zu seinen Menschen ...»
«Was die gesagt hat, interessiert niemanden mehr. Und wenn Sie noch einmal für uns arbeiten wollen, dann richten Sie sich danach. Ich entscheide, welche Bilder genommen werden ...»
Und ich drücke auf Aus, dachte Frank, und mache die Bilder, die angemessen sind. Aber was nutzt mir ein Ausfallhonorar von fünfzig Prozent? Ich muss meine Bilder gedruckt sehen, nur das ist der Beweis für Können und Erfolg, und nicht das, was im Archiv vergammelt. In gewisser Weise hatte die Oberländer sogar Recht. Wer sich einen teuren Wein wie eine Chianti Classico Riserva zu zwanzig oder dreißig Euro leisten kann, einen Supertoscana zu fünfzig, ob nun Arzt, Steuerberater oder Manager, der wollte nicht sehen, wie sich der Arbeiter beim Lesen mit der Schere in die Hand schnitt. Und ihre Putzfrauen arbeiteten auch meist schwarz. Fazit? Traute sich keiner mehr, die Welt zu zeigen, wie sie wirklich war? Alles Party, alles schön ...
Eine Mischung werde ich machen, überlegte Frank, jetzt nicht mehr ganz so radikal und wütend wie noch vor drei Minuten. Auf die Mischung kommt es an, wie beim Wein.
«Wie hältst du es», fragte Frank und konnte sich vom Blick in Antonias dunkle Augen nur schwer losreißen. «Ist dein Wein authentisch, wie ihr das nennt, oder machst du Zugeständnisse an den Massengeschmack?» Es war vielleicht nicht der richtige Ort für diese Frage, hinten auf dem Hänger mit den Trauben und Antonia am Steuer des kleinen Schleppers, der den Hang zur Kellerei hinaufkletterte. Aber diese Frage ließ Frank seit dem Telefonat mit der Bildredakteurin nicht mehr los.
«Warte, bis wir oben sind», schrie Antonia gegen den Lärm des Motors an. «Die Frage ist zu umfassend, verstehst du?»
Frank hob die Hand als Zeichen, dass er verstanden hatte, und schwieg für den Rest der kurzen Fahrt. Dafür hatte er Gelegenheit, Antonia zu betrachten: ihr Gesicht von schräg hinten, die etwas gewölbten Augenbrauen, die leicht geschwungene Nase, das energische Kinn und ihren schönen Mund, der jetzt angespannt wirkte, denn sie musste sich beim Rangieren in der Einfahrt konzentrieren, um den Hänger rückwärts in die Halle zu bugsieren, wo zwei Arbeiter mit dem Abladen begannen und die Trauben in die Abbeermaschine kippten.
Antonia sah einen Moment lang zu, dann wandte sie sich an Frank und bedeutete ihm mit einem Blick, ihr zu folgen. Sie ging voran zum Wohnhaus.
«Ich stamme aus einer alten Winzerfamilie», sagte sie. «Viel Land hatten wir nie, und reich waren wir auch nicht. Aber es ging uns immer ganz gut. Mein Vater machte den Wein so, wie er damals gemacht wurde, nach den alten Regeln mit Weißweintrauben im Chianti, in großen Fässern. Er wollte Menge erzeugen, das machten damals alle, und nicht Qualität, so wie ich heute. Er hat drei Kilo Trauben pro Rebstock geerntet, ich nur ein Kilo. Dafür hatte er 2500 Rebstöcke pro Hektar, ich habe 7000 gepflanzt. Wir haben zwar dieselbe Menge, aber mein Wein ist mindestens doppelt so gut. Ich arbeite heute nach Erkenntnissen und Verfahren, die man früher nicht kannte. Die wichtigsten Lehrbücher kamen aus Bordeaux und waren auf Französisch geschrieben. Ich hatte das in der Schule gelernt, daher konnte ich es lesen. Und als man mir die Kinder wegnahm ...»
«Du sagtest, sie seien erst vor ein paar Jahren ins Internat gekommen?», unterbrach sie Frank. «Wieso?»
«Nein, nicht so, wie du denkst – in den Kreisen meines Mannes hat man ein Kindermädchen, das macht die Arbeit, baden, wickeln, füttern. Ich durfte die Kinder vorzeigen, wenn Besuch kam. Und nach und nach habe ich begriffen ... ach, das gehört
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