Bitterer Chianti
nicht hierher.» Antonia senkte den Blick und ging durch die Seitentür ins Haus zur Küche.
Es war deutlich, wie schwer es Antonia fiel, über diese Zeit zu sprechen. Die damals geschlagenen Wunden waren längst nicht verheilt. Als würde sie seine Gedanken lesen, sagte sie: «Die schlimmsten Verletzungen fügen einem immer die Menschen zu, die einem am nächsten stehen.»
Antonia füllte zwei Gläser mit Wasser und reichte Frank eines. Es war kühl und schmeckte frisch und mineralisch. «Aus unserer Quelle, unten im Tal.»
«... und was hast du danach gemacht, in Bezug auf den Wein natürlich?»
Antonia merkte, wie Frank ihr eine Brücke baute, um über das Thema hinwegzukommen, und lächelte. «Ich habe mich in der Weinliteratur vergraben. Studieren durfte ich auch nicht, da hätte mein Mann mich nicht unter Kontrolle gehabt. Ich durfte nicht arbeiten, während er riesige Geschäfte machte. Ich musste repräsentieren – das hat mich zu Tode gelangweilt. Ich sah ja, in welche Richtung sich die anderen Frauen veränderten, wie langweilig und hilflos sie wurden, Karikaturen ihrer selbst. Als Massimo mich dann betrog und ich das nicht hinnehmen wollte, hat er mir die Azienda Vanzetti als Domizil angeboten. Ich habe das Beste aus meiner Verbannung gemacht – womit wir wieder beim Wein wären.» Jetzt lachte Antonia und streifte den Ausdruck von Trauer ab.
«Ich mache keine Zugeständnisse. Früher, ja, da habe ich es versucht. Aber dann wird man austauschbar, man verliert den Charakter. Den halte ich beim Wein für genauso wichtig wie beim Menschen. Und dass ich damit Erfolg habe, dass man mich respektiert und achtet, das macht Massimo wahnsinnig. Er zeigt es nie, aber ich kenne ihn, innerlich schäumt er vor Wut. Und wenn ich nicht ganz falsch liege, hat er sich längst was einfallen lassen, garantiert.»
Frank war eigentlich nicht danach, sich den Abend mit diesem unangenehmen Zeitgenossen zu verderben, er wollte lieber etwas über den Wein hören.
Antonia tat ihm den Gefallen: «Stromlinienförmig muss ein moderner Wein sein, möglichst glatt, ohne Kanten und Ecken, das ist der Trend, international. Bloß nichts Kompliziertes, einfach zu trinken heißt das. Verwechselbar und ohne Individualität, so sind die neuen Weine, die Marken – damit der Verbraucher angeblich weiß, was er bekommt. Man schmeckt die Rebsorten nicht mehr heraus, Barrique liegt über allem, zur Not werden Eichenspäne ins Fass gekippt, das soll übrigens tatsächlich erlaubt werden. Das muss man sich mal vorstellen: Der Schein wird legal. Aber beim Chianti Classico darf das alles nicht sein.»
«Bist du da sicher?», fragte Frank, der an der Richtigkeit ihrer letzten Behauptung zweifelte. In dem Moment ging die Tür auf, und im Türspalt erschien das verkniffene Gesicht der Haushälterin:
«Scusi, signora. Ich habe eine Männerstimme gehört, da dachte ich ...»
«Alles in Ordnung!» Antonias barscher Ton ließ die Haushälterin wissen, dass sie störte, denn ihre Neugier galt natürlich Frank. «Sie können gehen. Ich brauche Sie heute nicht mehr.» Sie wartete, bis die Haushälterin die Tür geschlossen hatte, dann sagte sie: «Wir gehen essen, einverstanden? Ich will meine Ruhe haben. Hier werde ich nur bespitzelt. Ich mache mich schnell fertig. Komm!»
Damit drückte sie Frank eine Flasche Weißwein und ein Glas in die Hand und zerrte ihn hinter sich her auf die Terrasse, wo sie ihn in einen Korbsessel drückte. Er ließ ihre Hand nicht los und zog Antonia zu sich herab. «Du bist eine wunderbare Frau.»
«Ich bin dreckig, ich stinke, und meine Haare sehen aus wie ein Wischmopp. Also gedulde dich eine halbe Stunde.» Sie küsste ihn flüchtig und machte sich los.
Frank rückte den Sessel an den Rand der Loggia und legte die Beine auf die Brüstung. Ihm war, als spürte er noch ihre Lippen, als er versonnen ins Tal sah, das sich langsam mit Nebel füllte. Antonia gefiel ihm immer besser. Sie hatte Kraft, sie hatte einen starken, ungebrochenen Willen, auch wenn sie bei weitem nicht so laut war wie ihre Freundin Wanda. Antonia hatte alles gegen den Widerstand ihres Mannes aufgebaut, gegen ihn hielt sie es in Gang, sie organisierte die Lese, beschäftigte zwanzig Mitarbeiterinnen, und Frank hatte noch nicht ein unfreundliches Wort von ihr gehört. Sie knabberte zwar an einem gewaltigen Problem, ihr fehlten die Kinder, aber bei wem war alles im Lot? Trotzdem, er konnte von ihrer Einstellung lernen, sich durchzusetzen und eigene
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