Bitterer Jasmin
Es irritierte ihn, daß sie selbst nicht mehr für sich tun wollte. »Ich lösche es noch einmal, und Sie sprechen dann erneut. Sagen Sie ihm, daß Sie Angst haben, daß Sie in Gefahr sind.«
»Ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich nicht bitten werde. Wenn Sie das löschen, werde ich trotzdem nichts anderes draufsprechen. Er weiß ganz genau, was mir hier passieren kann. Nur ist es ihm vielleicht egal.«
Er nahm das Gerät vom Tisch.
»O.k.«, meinte er. »Ganz, wie Sie wollen.«
Sie ging ihm zur Tür nach und berührte seinen Arm. »Ich weiß schon, daß Sie mir helfen wollen. Tut mir leid, ich glaube, ich habe einfach alle Hoffnungen aufgegeben. In den letzten Tagen habe ich viel Angst gehabt.«
»Das rührt noch von dem Schock«, beruhigte er sie. Sein Ärger war verflogen. Wie bleich und elend sie aussah!
»Sie dürfen Ihren Mann nicht verdammen. Er tut bestimmt sein Bestes.«
»Das kommt von diesem Eingesperrtsein«, sagte Eileen. Ihr Herz schlug immer schneller. »Wenn ich nur ein paar Minuten hinaus könnte, ein bißchen in der Sonne sitzen.«
»Ich wollte ohnehin mit Ihnen in den Garten gehen«, sagte Peters. »Sofern Sie versprechen, keine Dummheiten zu machen.«
»Nein, bestimmt nicht. Das verspreche ich.«
Sie saßen hinter dem Haus im Schatten einer von Weinreben überwucherten Pergola. Sie lehnte sich zurück und betrachtete das sonnendurchflutete Blätterdach über sich. Seit sie das Zimmer verlassen hatten, war kein Wort zwischen ihnen gefallen.
»Ich danke Ihnen«, sagte sie.
»Sie haben frische Luft gebraucht. Wenn Sie vernünftig sind, können Sie jeden Tag herunterkommen.«
»Sind Sie schon mal im Gefängnis gewesen?«
»Ja, zweimal.«
»Ein merkwürdiges Gefühl; man meint, völlig abgeschnitten von allem zu sein. Als ob niemand auf der Welt wüsste, wo man ist, oder sich Gedanken darum machte. Ging es Ihnen auch so?«
»Nein«, sagte Peters. »Ich hatte ja Freunde, und ich wußte, daß sie mich rausholen würden.« Er dachte an die schmutzige Zelle in Santiago, in der er auf Verdacht ohne jedes Urteil festgehalten wurde. Durch eine Bombenexplosion war er freigekommen. Das war sein erster Arrest gewesen. Die Nacht in der Polizeistation von Kent State war dagegen wieder etwas anders. Als sie ihn zusammenschlugen. Er wußte, was Eileen mit diesem Gefühl der Isoliertheit meinte, obwohl er selbst in der Zelle nie so empfunden hatte; er war dafür in der Masse Mensch seit sieben Jahren so gut wie isoliert.
»Man hat so viel Zeit zum Nachdenken«, sagte sie.
Er lehnte sich zurück, schloß die Augen. Sollte sie eine einzige Bewegung machen, konnte er immer noch nach ihr greifen. Es war warm und einschläfernd im Schatten. Ein großer gelber Schmetterling flatterte gemächlich an ihnen vorbei, drehte Pirouetten auf seinem Weg zu einem Hibiskus. Eileen sah ihm nach. Zwischen den Bäumen konnte man die Villa erkennen. Nach ihrer Erinnerung war an der Straße vor dem Haus eine Mauer, und man gelangte über eine kurze Auffahrt zum Eingang. Sie trug den Kaftan, den Peters ihr in Nizza gekauft hatte. Unter dem Gewand war sie aus den hochhackigen Schuhen geschlüpft; hatte sich auf dem Weg zum Garten überlegt, wie sie am schnellsten zum Ausgang käme. Einen besonderen Plan hatte sie nicht zur Flucht, nur den Instinkt, daß sie diese Gelegenheit wahrnehmen mußte, da es vielleicht keine zweite mehr gab. Er trug keine Pistole bei sich, das hätte sie bei seiner sommerlichen Kleidung – T-Shirt und Shorts – entdeckt. Wenn sie nur den Ausgang und die Straße erreichen konnte! Keine fünfzig Meter weiter lag ihrer Erinnerung nach das nächste Haus.
»Ich bin schläfrig«, murmelte sie. Er wandte den Kopf zu ihr.
»Dann schlafen Sie doch.«
Sie schloß die Augen und versuchte, sich zu entspannen. Ihr Arm ruhte neben seinem auf der Lehne des Liegestuhls. Sie ließ den Arm in den Schoß rutschen, blieb aber ganz ruhig sitzen, immer noch mit geschlossenen Augen. Es war eine ungeheure Anstrengung. Sie zählte insgeheim die Sekunden und Minuten. Nachdem etwa eine Viertelstunde vergangen war, blinzelte sie zu ihm hinüber. Er hatte die Arme über der Brust gekreuzt, der Kopf war von ihr abgewandt. Sie wartete noch einige Minuten und beobachtete ihn weiter. Er bewegte sich nicht. Ganz langsam ließ sie ein Bein seitlich heruntergleiten, das zweite; stellte einen Fuß auf den Boden; wartete. Er schien zu schlafen, sie konnte aber sein Gesicht nicht sehen. Ihr Liegestuhl quietschte bei keiner ihrer
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