Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
Vom Netzwerk:
und Ihre Braut einer glücklichen und vor allem sorglosen Zukunft entgegensehen.« Dem Pfarrer entglitt seine Pfeife, als die Kutsche durch ein weiteres Schlagloch raste. »Idiot!«, fauchte er, während er mit dem Ellenbogen gegen die Kutschwand klopfte. »Pass Er doch besser auf, sonst landen wir noch kurz vor unserem Ziel im Graben!«
    Franz von Gersdorf rang einen Moment mit seinem Gewissen, denn Maria hatte ihn in ihrem Brief gebeten, alles, was sie ihm mitzuteilen hatte, vertraulich zu behandeln. Aber dann entschied er, dass sie nichts dagegen haben konnte, wenn er sich in dieser heiklen Angelegenheit mit einem Priester beriet. Nervös spielte er mit dem Brief, der ihm zwischen den Fingern zu brennen schien. Dann sagte er: »Ich würde Ihnen gern vorlesen, was meine Verlobte mir geschrieben hat. Da Sie auch aus Krumau kommen, können Sie mir vielleicht einen Rat geben.
    ›Liebster Franz,
    es tut mir leid, dich in der Zeit deiner Examina zu behelligen, aber ich habe die traurige Pflicht, dich über zwei Todesfälle in Kenntnis zu setzen, die sich seit meiner Rückkehr aus Wien hier ereignet haben. Du wirst verstehen, dass ich dir diese weder verheimlichen kann noch darf, haben sie das Haus, in dem ich nach Vaters Tod so freundliche Aufnahme fand, doch schwer getroffen. Mein unglücklicher Onkel wurde völlig unerwartet seiner gütigen und allseits geliebten Haus- und Ehefrau beraubt. Die Frau Tante legte sich, ohne dass sie sich auch nur einen Tag unpässlich gefühlt hätte, aufs Krankenlager und verschied noch in derselben Nacht. Wenige Tage später folgte der vom Herrgott früh Gerufenen mein teurer Vetter Ignaz, der Stolz meines Onkels, ins Grab. Der Physikus, der sogleich ins Haus eilte, konnte nicht feststellen, was die beiden dahinraffte. Er ließ die Kammern versiegeln. Aber es gibt kein Anzeichen dafür, dass die beiden ein Opfer der Pocken wurden, deren tödlicher Hauch momentan durch ganz Böhmen zieht. Zu unserem Unglück kommt, geliebter Franz, dass unsere Nachbarn mich, die Fremde, seit dem Begräbnis der Verwandten meiden und mir Blicke zuwerfen, die mir Angst machen. Es wurden schon einige Drohungen ausgestoßen. Mein guter Onkel, dem meine Anwesenheit nur ein kleiner Trost sein kann, ist vor Kummer nicht mehr in der Lage, seiner Arbeit in der Offizin nachzugehen, er hat die Geschäfte einstweilen einem Apothekergesellen übertragen, aber der ist faul und taugt wenig. Meine Sorge gilt dem Onkel, seinem kleinen Söhnchen Valentin und natürlich dir, mein Liebster, denn ich könnte es verstehen, wenn du angesichts des Verdachts, der über mir schwebt, erleichtert wärest, wenn ich dir dein Wort zurückgäbe und nicht mehr auf der Hochzeit bestünde.
    Leb wohl!
    Deine Maria‹
    Als Gersdorf den Kopf hob, bemerkte er sogleich, dass der Pfarrer blass geworden war. Mit fahrigen Fingern fuhr sich der Mann über sein fleischiges Doppelkinn, das andeutete, dass er trotz seiner strengen Soutane die Genüsse des Lebens zu schätzen wusste. In diesem Moment war aber jede Heiterkeit aus seinen Gesichtszügen gewichen. Mit einem Ausdruck, den Gersdorf nicht deuten konnte, schüttelte er den Kopf. »Ist der Name Ihrer Braut etwa Taborius?«, wollte er wissen. »Maria Taborius?«
    Gersdorf nickte.
    »Und dieser Onkel, in dessen Haus sie zur Zeit wohnt, ist der Apotheker Carl Gottlieb Taborius? Ehemals Hoflieferant Ihrer Gnaden, der verstorbenen Fürstin Eleonora von Schwarzenberg?«
    »Maria hat mir in Wien erzählt, dass ihr Onkel ein enger Vertrauter der Fürstin war«, bestätigte Gersdorf vorsichtig. »Aber das ist doch nun belanglos geworden. Ich mache mir Sorgen um Maria. Abgesehen davon, dass ihre Familie zwei Todesfälle erdulden musste, scheint man Maria dafür die Schuld zu geben. Das ist unerhört. Würden Sie sie kennen, wüssten Sie, was ich meine. Sie ist die sanfteste und gutherzigste Person, die es gibt.« Gersdorf wurde lauter. Während die Miene des Priesters nach wie vor nicht zu erkennen gab, was der Mann dachte, redete sich der Student in Rage. Er war bitter enttäuscht, hatte er doch gehofft, von dem Geistlichen Trost und Rat zu hören. Was aber tat der Alte? Nichts. Er saß einfach nur da und kratzte sich am Kinn.
    »Sie sind doch Stadtpfarrer in Krumau«, rief Gersdorf schließlich. »Was sagen Sie dazu? Ist es nicht schrecklich, ein Mädchen, das gerade zwei Schicksalsschläge hinnehmen musste, so zu verunsichern, dass sie daran denkt, unsere Verlobung zu lösen?«
    »Vielleicht gibt es

Weitere Kostenlose Bücher