Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
dafür Gründe, die Sie nicht verstehen können, junger Freund. Sie kommen aus Wien.
Wie die Menschen hier in Böhmen leben, was sie fühlen und wovor sie Angst haben, können Sie nicht begreifen.« Begütigend legte der Priester seine Hand auf Gersdorfs Knie. Sie fühlte sich kalt an. »Ich gebe Ihnen einen guten Rat. Kehren Sie auf dem schnellsten Weg nach Wien zurück. Vergessen Sie diese Jungfer Taborius. Sie hat es Ihnen leicht gemacht. Sie schreibt sogar, dass sie bereit ist, Ihnen Ihr Wort zurückzugeben. Na bitte, was wollen Sie mehr? Niemand wird Sie verurteilen, wenn Sie diese Verlobung lösen. Ein Mann von Ihrer Herkunft wird im Umfeld des kaiserlichen Hofs gewiss ein unbescholtenes Mädchen von Adel finden, dessen Familie nicht in Verruf geraten ist.«
»In Verruf geraten? Warum, zum Henker, sagen Sie das?«
»Weil ich für das Seelenheil der Menschen in Krumau verantwortlich und keineswegs überzeugt bin, dass die Todesfälle im Haus Taborius natürliche Ursachen haben. Fragen Sie den Stadtphysikus, er wird es Ihnen bestätigen. Er ist übrigens mein Bruder. Ich selbst kann und will nicht mehr über diese Angelegenheit reden. Gott möge verhüten, dass weitere Menschen unter solch merkwürdigen Umständen sterben.« Der Priester steckte die Pfeife wieder in den Mund und begann zu paffen.
Merkwürdige Umstände? Wovon, zum Teufel, sprach dieser Kerl nur? Gersdorf bereute inzwischen zutiefst, dass er dem Mann Marias Brief vorgelesen und ihn um seinen Rat gebeten hatte. Doch wie hätte er ahnen sollen, dass der Geistliche seine Sorgen vergrößerte, anstatt ihn zu trösten? Grimmig wandte er sich von seinem Mitreisenden ab, blickte aus dem Fenster und verharrte in Schweigen, bis er in der Ferne die Silhouette der Türme und Dächer der Stadt Krumau ausmachen konnte.
Sie erreichten das Stadttor eine knappe Stunde später. Gersdorf war nach dem Wortwechsel mit dem Priester so aufgewühlt, dass sein erster Blick auf den Wohnort seiner Verlobten recht flüchtig ausfiel. Immerhin nahm er wahr, dass Krumau ein hübsches Städtchen war, das in einer Moldaubiegung lag und sich über beide Ufer des Flusses erstreckte. Wie die Arme einer Frau in schwarzem Samt, legte sich der Strom um die Häuser und Kirchen, über denen hoch oben, auf einer bewaldeten Anhöhe, das mächtige Schloss der Fürsten von Schwarzenberg thronte. Die hohen Mauern der befestigten Anlage wirkten auf Gersdorf trotzig und abweisend. Der Wind trug das Gebell von Hunden über das Wasser hinweg, was sich recht unheimlich anhörte. Jenseits ihrer Befestigung strahlte die Stadt indes die gastliche Gemütlichkeit der böhmischen Provinz aus. Auf Gersdorfs kurzem Weg von der Poststation in die Innenstadt fand er nicht nur einen schmucken, gepflasterten Marktplatz, der von einer Anzahl selbstbewusster Bürgerhäuser umgeben war, sondern auch gut besuchte Wein- und Bierstuben, von denen er schon seine Wiener Kommilitonen hatte schwärmen hören. In der Provinz, so hieß es, waren die Schankmägde noch willig, die Preise niedrig und das Essen deftig. Gersdorf verspürte an diesem Abend nicht die geringste Lust, das auf die Probe zu stellen. Er hatte zwar Hunger wie ein Bär und kam fast um vor Durst, beschleunigte aber dennoch seine Schritte, anstatt sich von Bier und Gelächter anlocken zu lassen. Nach kurzer Suche fand er die Apotheke des Herrn Taborius, die nicht direkt am Markt, sondern in einer vom Rathaus ausgehenden Gasse unweit der St. Veitskirche lag. Zu Taborius' Anwesen gehörten zwei schmale Gebäude, die zur Straßenfront von einem breiten Hoftor geteilt wurden. Ein von Fachwerk durchzogener Anbau, über dem ein runder Erker über die Gasse hinausragte, beherbergte die Offizin, in der der Apotheker seine Arzneien verkaufte. Davon zeugte auch eine sich im Wind drehende Wetterfigur auf dem roten Schindeldach des Hauses, die einen Mann mit Reagenzglas, vermutlich den Heiligen Damian, darstellte.
Auf sein Klopfen wurde Gersdorf von einer Dienstmagd geöffnet, die ihn erst gar nicht hereinlassen wollte. Erst auf seinen nachhaltigen Protest führte ihn die junge Frau in einen Warteraum neben der Offizin und versprach, ihre Herrschaft zu fragen, ob jemand ihn empfangen wollte. Gersdorfs Herz klopfte stürmisch, als er seinen Dreispitz abnahm und sich den Staub der Reise von Gehrock und Stiefeln klopfte. Unter seiner Perücke juckte die Kopfhaut. Am liebsten hätte er das unpraktische Ding abgesetzt, zumal es nicht mehr weiß, sondern grau und
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