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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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liebte! Ja, auch wenn dieser Mann ein Weichei war, der es nicht schaffte, sich aus dem Würgegriff seiner übermächtigen Mutter zu lösen, liebte Ellen ihn mit jeder Faser ihres Herzens, und genau diese Liebe war der Grund dafür, dass sie trotz der scheußlichen Magenkrämpfe jeden Tag in das düstere Haus zurückkehrte.
    Ihre Freundinnen schüttelten nur noch die Köpfe über Ellens Durchhaltewillen.
    »Gegen diese Frau kommst du doch nie an«, sagten sie, »mach dich doch nicht unglücklich! Geh weg, bau dir ein neues Leben auf und lass Mutter und Sohn miteinander glücklich werden.«
    Das waren sicher vernünftige Ratschläge und Ellen war bereits mehr als einmal entschlossen gewesen, sie zu befolgen. Aber ihr dummes, unvernünftiges Herz begann bei dem Gedanken an Trennung genauso schlimm zu schmerzen wie ihr Magen bei dem Gedanken an ihre Schwiegermutter.
    Was für ein irres Leben, dachte sie, als sie die Halle betrat. Es war ein dunkles Entree mit holzvertäfelten Wänden und Decken. An jeder freien Wand hingen Gemälde von irgendwelchen Verwandten, die streng auf Ellen herabsahen, während sie durch den Raum schritt. Ihr war keine Muße vergönnt. Hertha hatte bereits die Messer gewetzt und sich kampfbereit gemacht. Wie eine Rachegöttin stand sie auf den oberen Stufen der Eichentreppe und sah auf ihre verhasste Schwiegertochter hinab.
    »Was hast du dir dabei gedacht?«
    Die herrische Stimme ließ Ellens Magennerven umgehend erneut revoltieren. Sie blieb stehen und sah die Treppe hinauf. Herthas strenger Blick schien sie durchbohren zu wollen. Ellen versuchte, sich ihre Gefühle nicht anmerken zu lassen.
    »Was habe ich mir wobei gedacht?«, erkundigte sie sich harmlos, obwohl sie ahnte, worum es ging.
    Statt einer direkten Antwort hob Hertha ihre rechte Hand. Ihre Miene wies einzig und allein Ellen die Schuld an ihrem Schmerz zu, klagte sie an und forderte Reue und Bedauern. Ellen konnte nur mit Mühe das schadenfrohe Lachen zurückdrängen, das in ihrer Brust brodelte und herausdrängte.
    Herthas Finger der rechten Hand waren allesamt, bis auf den Daumen, dick bandagiert.
    »Ich wäre beinahe gestorben vor Schreck!«, beschwerte sie sich mit dramatischem Timbre in der Stimme. »Ganz schlecht ist mir geworden von den unsäglichen Schmerzen. Ich habe wirklich geglaubt, mein letztes Stündlein habe geschlagen und ich müsste gleich meinem Herrn und Schöpfer gegenübertreten.« Im nächsten Moment wechselte ihr Blick, die Augen wurden schmal. »Das hast du mit Absicht gemacht!«, warf sie Ellen hasserfüllt vor. »Du bist ein kleines, hinterhältiges Luder. Das habe ich immer gewusst und ich bete zu Gott, dass mein Sohn das auch endlich begreift.«
    Ellen legte die Hände auf den Rücken und bohrte die Nägel in das zarte Fleisch der Innenflächen, um sich durch den Schmerz von dem hysterischen Kichern abzulenken, das unbedingt aus ihr herauswollte.
    »Aber Schwiegermama!« Sie brauchte ihre ganze Selbstbeherrschung, aber sie schaffte es tatsächlich, Herthas Blicken standzuhalten. »Ich weiß wirklich nicht, wovon du redest.«
    Hertha beugte sich vor.
    »Von den Fallen, die du im Kleiderschrank aufgestellt hast.«
    Ellen riss die Augen auf und sah Hertha bass erstaunt an. »Von den Mause... ?«
    »Halt!« Hertha schnitt ihr mit einer hektischen Bewegung das Wort ab. Panik spiegelte sich in ihren grauen Altfrauenaugen. »Sprich das Wort nicht aus!« Alles an ihr schien vor Ekel und Entrüstung zu vibrieren. »Wir haben so ein Ungeziefer nicht im Haus, hörst du? Wir brauchen keine Fallen.«
    »Aber ich habe es im Wäscheschrank rascheln gehört«, verteidigte Ellen ihre Maßnahme in perfekt gespielter Naivität.
    Ach ja, manchmal konnten eben auch kleine Racheakte befriedigen.
    Der Teint der alten Dame wechselte von Zartrosa in Aschfahl. Es gab wenig, wovor sie Angst hatte. Ihr robustes Naturell ließ kaum Raum für Angstgefühle. Die alte Dame hatte sich immer und überall im Griff und demzufolge auch äußerst wenig Verständnis für die Schwächen anderer Menschen (solange es sich nicht um ihren vergötterten Sohn handelte). Doch wenn es um Mäuse ging, dann flippte Hertha total aus. Sie schrie, sie strampelte, sie bekam Schaum vor dem Mund, hielt die Luft an, bis sie in Ohnmacht fiel - kurz, sie erlitt eine komplette Panikattacke, die jedem Studenten der Psychologie als extremes Studienbeispiel hätte dienen können.
    Genau diese Angst hatte Ellen sich zunutze gemacht, um ihre Schwiegermutter endlich

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