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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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davon abzubringen, ständig in ihren Schränken herumzuschnüffeln und dort nach ihrem Gutdünken umzuräumen.
    »Dann stell von mir aus Fallen auf!«, keuchte diese nun, beide Hände auf den heftig wogenden Busen gepresst. »Aber mach Zettel an die Schranktüren. Nicht, dass ich noch einmal versehentlich irgendwo hineingreife und mich klemme.«
    Ellen begann, Schritt für Schritt die Treppe hinaufzusteigen.
    »Ich habe dich schon tausendmal gebeten, das zu lassen«, erinnerte sie Hertha, als sie vor ihr stand.
    »Ich muss das aber tun«, erwiderte Hertha, zutiefst davon überzeugt, dass sie richtig gehandelt hatte.
    Immerhin waren das hier ihr Haus und ihr Sohn und als dessen Mutter wusste sie hundertmal besser, was dem Jungen guttat und was er besser bleiben lassen sollte. Sie richtete sich auf und reckte kämpferisch ihren miederbewehrten Busen heraus. »Hundert Mal habe ich dir schon gezeigt, wie man die Wäsche richtig zusammenlegt und einräumt«, hielt sie nun ihrerseits der Schwiegertochter vor, um dann tadelnd hinzuzufügen: »Aber du willst ja keine Lehren annehmen.«
    Ellen reichte es jetzt. Sie war diese ständigen Zusammenstöße mit der Schwiegermutter leid bis zum Erbrechen. Der Wunsch, auszuholen und die boshafte Alte einfach die Treppe runterzuschubsen, wollte beinahe übermächtig werden. Doch Ellen beherrschte sich. Keine noch so bösartige Xanthippe war es wert, Jahre seines Lebens hinter Knastmauern zu verbringen. Nein, dieser Kampf wollte ausgestanden werden und Ellen war entschlossen, am Ende als Siegerin daraus hervorzugehen.
    »Ich weiß selbst, wie ich meinen Haushalt zu führen habe«, versetzte sie gereizt, als sie mit Hertha auf gleicher Höhe stand. »Also lass gefälligst ein für alle Mal deine Finger aus unseren Schränken, dann kann dir so etwas ...«, Ellen deutete auf Herthas bandagierte Finger, »nicht passieren.«
    Die alte Dame schnappte nach Luft, in Vorbereitung auf einen ihrer Angina-Pectoris-Anfälle. Doch dann überlegte sie es sich anders. Ein Herzanfall schien ihr in diesem Moment nicht opportun. Sie wollte lieber warten, bis ihr Sohn nach Hause kam, und vor diesem eine dramatische Szene hinlegen.
    »Wieso kommst du eigentlich erst jetzt nach Hause?«, wechselte sie deshalb das Thema. Kampflos aufzugeben, war nun mal nicht ihr Ding.
    Ellen lagen bereits die Worte ›Das geht dich gar nichts an‹ auf der Zunge, aber dummerweise siegte wieder einmal ihre gute Erziehung. Der Satz »Ich musste noch einen Schmerzpatienten behandeln« war schneller raus, als sie darüber nachdenken konnte.
    Hertha verzog geringschätzig die Mundwinkel. Sie hielt nicht viel von Ellens Beruf. Physiotherapie setzte die alte Dame gleich mit Scharlatanerie. Ihrer Ansicht nach ging man bei Beschwerden zum Arzt, der gab einem Tabletten oder Spritzen und damit war die Sache erledigt. Deshalb hatte sie Ellen bereits mehrfach gesagt, dass sie gut daran tun würde, ihre Praxis zu schließen und ihre Schwiegermutter im Hause zu entlasten. Aber diese jungen, verwöhnten Dinger wollten sich ja heute lieber, wie es so schön hieß, ›selbstverwirklichen‹, als einem Ehemann und den Söhnen ein schönes Heim zu bereiten.
    »Nun, wenn dir so etwas wichtiger ist als dein Ehemann«, schnappte Hertha, um dann mit wichtiger Miene kundzugeben: »Mark-Dennis hat angerufen.« Es klang, als wollte sie den Besuch des Bundespräsidenten ankündigen. »Er kommt heute früher nach Hause und bringt noch einen Gast mit.«
    »Schön für Mark-Dennis«, murmelte Ellen, während sie sich an Hertha vorbei in ihre Wohnung drängelte. Schon im Vorraum sah sie, dass Hertha mal wieder alles nach ihrem Geschmack umgeräumt hatte. Nur um sie zu ärgern, warf Ellen ihren Mantel über den Hocker, der neben dem Garderobensideboard stand, und ging ins Wohnzimmer. Prompt hob Hertha den Mantel auf, stülpte ihn über einen Bügel und hängte ihn auf.
    »Da ich ja weiß, dass dir deine Arbeit wichtiger ist als die Karriere deines Gatten«, plapperte sie dabei unverdrossen weiter, »habe ich schon für die beiden gekocht. Schweinebraten, Mischgemüse und Salzkartoffeln.«
    »Schön.« Ellen starrte auf Herthas Hals. Wie es sich wohl anfühlte, wenn man ihn langsam zudrückte?
    Die Sitzgarnitur stand wie gezirkelt auf dem Teppich, das Sofa an der Wand, darüber ein Ölbild, dessen Maler zu Recht unbekannt geblieben war, die Sessel rechts und links neben dem Tisch und in der Ecke der Fernseher mit dem überbreiten Flachbildschirm, auf dem

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