Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
Hertha viel besser ihre Seifenopern verfolgen konnte als auf ihrem eigenen (obwohl der auch eine riesige Mattscheibe besaß). Deshalb verbrachte sie die meisten Abende hier oben anstatt in ihrer eigenen Wohnung.
Nein, das war nicht Ellens Einrichtungsstil, sondern Herthas. Aber nach unzähligen Hin-und-wieder-zurückräum-Aktionen hatte sie es aufgegeben und die Möbel so stehen gelassen, wie es Hertha und angeblich auch Mark-Dennis gefiel.
Ellen riss sich von dem Anblick und ihren mordlüsternen Gedanken los und ging ins Schlafzimmer hinüber, aber Hertha folgte ihr ungerührt. Wie sie da so rund und proper im Türausschnitt stand, erinnerte sie Ellen an die Figuren eines Rubensgemäldes. Herthas Haltung sagte deutlich, dass sie nicht bereit war, den Raum oder die Wohnung zu verlassen. Sie war auf Krawall aus und den versuchte sie mit allen Mitteln herbeizuführen.
Ihr Sohn durchkreuzte dieses Vorhaben. Er war soeben nach Hause gekommen und stand nun mitten in dem düsteren Vorraum. Seine Stimme hallte durchs ganze Haus, als er laut nach seiner Mutter rief. Sofort wirbelte Hertha mit einer Behändigkeit herum, die man ihrer Leibesfülle gar nicht zugetraut hätte, und eilte die Treppe hinunter. Gleich darauf konnte Ellen die Stimmen ihres Gatten und seiner Mutter hören, die sich in der Halle lebhaft über Herthas Verletzungen unterhielten.
Wortfetzen wie »Anschlag auf mich«, »mit Absicht«, »unterbinden«, »unbedingt mit ihr reden« oder »Sag ihr das!« drangen zu Ellen herauf. Worauf Mark- Dennis sich mehrfach entschuldigte und seine Mutter pflichtgemäß bedauerte.
Er kam nicht zu Ellen in die gemeinsame Wohnung hinauf. Sie hörte die Schritte von Mutter und Sohn, die laut auf den kalten Fliesen klackten. Dann fiel Herthas Wohnungstür zu, anschließend herrschte Stille in der gruftähnlichen Halle.
Ernüchtert kehrte Ellen ins Schlafzimmer zurück. Während sie sich entkleidete und in bequeme Jeans und Pullover schlüpfte, überlegte sie, wie sie die Situation endlich in den Griff bekommen konnte. Auszuziehen wäre die vernünftigste Alternative gewesen, aber das würde Hertha niemals zulassen. Und wenn diese nicht ihr Okay gab, dann würde sich auch Mark- Dennis weigern, die Koffer zu packen. Nein, das war also keine Lösung.
Es gab nur eine Möglichkeit...
Die Frage war nur, wie?
Ein Treppensturz?
Kissen aufs Gesicht?
Überdosis Herztropfen?
Erwürgen?
***
Das Essen bei seiner Mutter wurde so scheußlich, wie er es befürchtet hatte. Was die Speisen anbetraf, so gab es da absolut nichts zu meckern. Aber die Atmosphäre war so ungemütlich, wie Mark-Dennis es befürchtet hatte, und das lag nicht nur an der Einrichtung des Wohnzimmers, sondern besonders an der Anwesenheit seiner Mutter, die den Tisch beherrschte wie eine strenge Göttin.
Sie bestimmte, worüber sich unterhalten wurde, und wenn Roman Heiler, Mark-Dennis' Kollege, eine nach Herthas Meinung falsche oder unpassende Bemerkung machte, strafte sie ihn mit solchen Dolchblicken, dass er seinen Mund zuletzt überhaupt nicht mehr aufmachte.
Steif saß man auf den hochlehnigen Essstühlen, steif hantierte man mit den Bestecken und steif lächelte man höflich, während Hertha sich über ihr Lieblingsthema ausließ: Mark-Dennis.
Roman Heiler packte die erste Möglichkeit beim Schopfe, die sich ihm bot, um der Hausherrin zu versichern, wie gut sie gekocht hatte, und sich von ihr zu verabschieden. Hertha war damit zufrieden, weil der restliche Abend nun ihr und ihrem Sohn gehörte.
Neidisch sah Mark-Dennis zu, wie Roman in seinen Wagen stieg und davonfuhr. Er wäre auch gern davongefahren. Irgendwohin, an einen friedlichen Ort, an dem es keine Hertha gab und an dem er endlich mal wieder mit seiner Ellen allein sein konnte.
Seit seine Mutter nachts von Alpträumen und Herzattacken gequält wurde, musste er bei ihr schlafen, um ihr im Notfall das lebensrettende Nitro-Spray verabreichen zu können. Und da sie ihn auch sonst nicht aus den Augen ließ, hatten Ellen und er überhaupt keine Möglichkeit mehr, mal miteinander zu schlafen.
Gut, Mark-Dennis konnte verstehen, dass Hertha sich wegen der nächtlichen Herzanfälle ängstigte. Und dass sie sich einsam fühlte und daher den Wunsch hatte, ihre Zeit lieber mit ihm und ihrer Schwiegertochter zu verbringen, konnte er auch nachvollziehen. Trotzdem fand er, dass seine Mutter es mit ihrer Ängstlichkeit allmählich übertrieb. So ab und an hätte sie sich ruhig einmal diskret zurückziehen
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