Bitterer Nachgeschmack - Anthologie
Hedda Rebenstock.
»Dann sollten Sie ihn wecken und ihm die weitere Versorgung Ihres Neffen überlassen.«
Hedda Rebenstock musterte Maruhn mit einem eisigen Blick. »Waldemar ist nicht mein Neffe, sondern der meines toten Mannes. Ein Neffe von mir wäre niemals ein solcher Verbrecher geworden!«
»Wenn Sie meinen!«, antwortete Maruhn. »Und jetzt holen Sie Ihren Nachbarn. Sobald der Arzt und die Gendarmen eingetroffen sind, werde ich dieses Haus verlassen.«
»Das können Sie nicht! Sie sind mir als Hausdiener zugeteilt worden«, klang es empört zurück.
»Als Beschützer, Gnädigste, nur als Beschützer! Ich glaube, diese Aufgabe habe ich gut bewältigt. Morgen werde ich Ihnen meine Rechnung zukommen lassen und die wird angesichts der Umstände nicht gerade gering ausfallen.«
Während die Frau empört die Luft aus den Lungen blies, dachte Maruhn daran, dass er nach nur wenigen Stunden Schlaf am kommenden Abend erneut in die Spelunke gehen würde, in der er sich mit seinem Informanten verabredet hatte. Vielleicht kam der Mann diesmal. Wenn er dem Kerl die verfänglichen Papiere abhandeln konnte, würde sein Auftraggeber ihn gut bezahlen. Für das Geld würde er Frieda endlich den modernen Gasherd installieren lassen, den sie sich so sehr wünschte.
Edna Schuchardt
Trautes Heim
D IE ELEGANTE J UGENDSTILVILLA machte äußerlich einen freundlich-gemütlichen Eindruck. Es war ein schönes Haus. Vor einigen Jahren fach- und stilgerecht renoviert, sah es von einer sanften Anhöhe auf die Passanten hinunter, die auf ihren Spaziergängen daran vorbeiliefen.
Manch einer, der an diesem Anwesen vorüberging, verschwendete vielleicht einen Gedanken an die Bewohner des Hauses. Möglicherweise dachte er oder sie, dass die Menschen, die hinter einer so hübschen Fassade lebten, sicher ganz besonders glücklich sein mussten. Aber Ellen Wiesner war alles andere als glücklich.
Ihr Magen zog sich bereits schmerzhaft zusammen, als sie die Autobahnausfahrt erreichte. Auf dem Weg durch die Innenstadt, vorbei an Supermärkten, Tankstellen und diversen Geschäften, verstärkte sich der Druck und als sie schließlich in die Kastanien-Allee einbog, hatte sich dieser Druck zu massiven Krämpfen ausgewachsen, die Ellen zwangen, sich alle paar Sekunden hinter dem Steuer zusammenzukrümmen.
Früher war sie manchmal zwei, drei Stunden in der Gegend herumgekurvt, um das Nachhausekommen hinauszuzögern. Im Stillen immer darauf hoffend, dass Hertha zwischenzeitlich von einem ihrer Herzanfälle hinweggerafft worden war. Aber die alte Dame besaß neun Leben wie eine Katze und war zäh wie ein alter Schleifriemen.
Ellen hatte unzählige dieser Herzattacken miterlebt. Dummerweise war sie zu Hilfsbereitschaft, Rücksichtnahme und Respekt vor dem Alter erzogen worden. Lauter unnütze Artigkeiten, die einem nur das Leben schwer machten und der Durchsetzung eigener Wünsche im Wege standen. So kam es, dass Ellen trotz ihres Hasses, den sie inzwischen für die alte Frau empfand, jedes Mal losrannte und das Nitro-Spray holte, sobald Hertha sich stöhnend an den ausladenden Busen griff.
Erneut verkrampfte sich Ellens Magen zu einem harten, kleinen Ball. Nur mit Mühe schaffte sie es, ihren Wagen in die Einfahrt zu bugsieren, ehe der Schmerz sie zwang, sich mit einem Stöhnen auf ihrem Sitz zusammenzukrümmen wie ein Wurm. Diesmal war der Krampf so heftig, dass Ellen beinahe ohnmächtig wurde. Hilflos wand sie sich auf dem Sitz, Schweiß rann in kleinen Bächen über ihr Gesicht, floss in kleinen Bächen zwischen ihre Brüste und durchfeuchtete ihre Bluse.
Endlich, als der Krampf sich ein wenig zu lösen begann, tastete sie mit zitternder Hand neben sich auf den Sitz. Sie riss ihre Handtasche an sich und begann hektisch, nach den Tabletten zu suchen, die ihr der Hausarzt gegen die Krampfattacken verschrieben hatte. Ohne richtig hinzusehen, warf sie ein paar der weißen Dinger ein, kaute sie, schluckte und wartete darauf, dass die Wirkung einsetzte. Doch es dauerte noch Minuten, ehe sie endlich aussteigen und zum Haus gehen konnte. Auf der Außentreppe hielt sie noch einmal inne.
Der Krampfanfall hatte sie geschwächt. Ihre Knie zitterten, ebenso ihre Hände und ihr ganzer Körper. In diesen Sekunden hätte Ellen am liebsten kehrtgemacht und wäre geflohen, doch dann holte sie ein paar Mal tief Luft, sammelte ihre Reserven und stieß die Tür auf.
Es hatte ja keinen Sinn wegzulaufen, denn immerhin lebte in diesem Haus der Mann, den sie
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