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Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Bitterer Nachgeschmack - Anthologie

Titel: Bitterer Nachgeschmack - Anthologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Senghaas , Iny Lorentz
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und Sohn und Schwiegertochter allein lassen können.
    Ihr das zu sagen, wagte Mark-Dennis allerdings nicht. Er fürchtete, dass Hertha dann einen ihrer schlimmen Anfälle erleiden würde. Die machten ihm jedes Mal eine Höllenangst, denn er fürchtete sich vor nichts so sehr wie vor dem Tod. Außerdem würde ihn dann tagelang sein schlechtes Gewissen zwicken und zwacken, selbst wenn er sich immer wieder sagte, dass er sich im Recht befand. Zuletzt würde er seine Mutter unter Tränen um Verzeihung bitten und sie weiterhin gewähren lassen, wie es ihr gefiel.
    Nein, da ließ er lieber gleich alles beim Alten, als sich diesem Psychostress auszusetzen!
    »Guck doch schon mal, was es heute im Fernsehen gibt!« Die Stimme seiner Mutter wurde vom Klappern des Geschirrs begleitet, das sie gerade abwusch. Mark- Dennis hatte ihr einen Geschirrspüler kaufen wollen, aber den lehnte sie kategorisch ab.
    »Eine Maschine kann niemals so sauber spülen, wie ich es tue. Außerdem kostet es viel zu viel Wasser und Strom.«
    »Es gibt ›Bauer sucht Frau‹«, teilte Mark-Dennis ihr mit, während er sehnsüchtig aus dem Fenster sah. »Ich würde vorher aber gern noch ein bisschen frische Luft schnappen. Zum Beginn der Serie bin ich aber bestimmt wieder zurück.«
    »Wenn du ein paar Minuten wartest, komme ich mit!« Was jetzt klapperte, war das Besteck.
    Mark-Dennis biss die Zähne so heftig zusammen, dass es knirschte. Bitte nicht!, flehte er im Stillen. Bitte, bitte lass mich allein gehen.
    »Wenn deine Frau mir helfen würde, wäre ich längst fertig«, tönte es aus der Küche. »Aber die zieht es ja vor, in eurer Wohnung zu schmollen. Dabei war der Braten doch wirklich lecker, nicht wahr?«
    »Ja, Mama.« Mark-Dennis ballte die Hände zu Fäusten. Dann fiel ihm etwas ein. »Aber wenn wir jetzt nicht gehen, dann können wir es auch lassen, weil die Sendung dann bald anfängt.«
    »Ah, ja.« Das Klappern verstummte abrupt. Als es wieder einsetzte, sprach Hertha erneut. »Gut, dann geh allein, mein Junge. Nach der ollen Büroluft, die du den ganzen Tag einatmen musst, brauchst du dringend ein bisschen frischen Sauerstoff.«
    Ja, hurra! Beinahe hätte Mark-Dennis einen Luftsprung vollführt. Rasch schlüpfte er in seine Schuhe, stellte die Hauspantoffeln ordentlich unter den Garderobenschrank und nahm leise seinen Autoschlüssel vom Haken.
    »Zieh dir einen Mantel über!«, rief Hertha ihm aus der Küche zu.
    »Mache ich«, antwortete Mark-Dennis und legte sich den Trenchcoat über den Arm. »Bis ...«
    »Nein, warte.« Das Klappern und Klirren verstummte. »Der Abwasch läuft mir nicht weg. Ich komme doch mit.«
    Mark-Dennis schössen vor Enttäuschung die Tränen in die Augen. Aber ihm fiel auf die Schnelle keine passende Ausrede oder ein Argument ein, mit dem er seine Mutter von ihrem Vorhaben abbringen konnte.
    Sie kam schon aus der Küche gelaufen, auf dem Gesicht ein strahlendes Lächeln, das seinen unterschwelligen Zorn beinahe zum Ausbruch gebracht hätte.
    »Frische Luft tut mir auch gut«, plapperte sie munter, während sie den Schuhschrank öffnete. Dessen Innenleben präsentierte einen Anblick, der jeden Ordnungsfanatiker in Jubel hätte ausbrechen lassen. Zehn Paar Damen- und acht Paar Herrenschuhe standen dort, blitzblank poliert, in Reih und Glied und nach Farben sortiert auf den schrägen Regalbrettern. »Jetzt ist die beste Zeit, weißt du! Da ist dieses ganze Insektenzeugs nicht mehr unterwegs, das einen beißt und sticht.«
    Mark-Dennis nickte stumm. Die Hände hinter dem Rücken zu Fäusten geballt, sah er zu, wie Hertha ihre Halbschuhe aus dem Schuhschrank nahm und umständlich hineinschlüpfte. Wenn ich ihr jetzt mit aller Kraft ihren dämlichen Wanderstock über den Kopf haue, könnte ich endlich ungestört mit Ellen Sex haben, schoss es Mark-Dennis durchs Hirn, während er zusah, wie Hertha die Schnürsenkel band. Und ich könnte endlich leben, wie es mir passt, und all die Dinge tun, die Männer meines Alters eben so tun: Mich mit Freunden auf ein Bier in der Kneipe um die Ecke treffen ...
    Welchen Freunden?, höhnte ein kleines Stimmchen in seinem Kopf. Du hast keine Freunde, weil deine Mutter sie alle vertrieben hat. Und in eine Kneipe gehen, Bier trinken, einem Hobby frönen und was du dir sonst noch so alles wünschst, das wird sie dir auch nie erlauben. Und das nicht, weil sie dich liebt und Angst hat, dir könnte etwas passieren - oh nein! Hier kicherte das Stimmchen gemein. Nein, deine Mutter will

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