Bitteres Blut
Rotz und Wasser, will aber seinen Komplizen nicht verpfeifen. Ich dachte, dass Sie mich in der Sache unterstützen, Kriminalobermeister.«
Lorinser stöhnte innerlich. Damit war er verbrannt, der Feierabend, und auch sein Plan von der kleinen Portion Scampi und dem recht ordentlichen Roten beim Italiener. Er deutete auf das Formular. »Ist das für mich zum Einlesen?«
»Die Zeit haben wir nicht, und nötig ist es auch nicht.«
»Dann spiele ich also den Fiesen?«
»Sie meinen, weil Sie heute schon mal geübt haben? – Nein, das brauchen Sie nicht. Ich möchte nur sicher sein, dass der Bursche seinen überaus gut entwickelten Bizeps unter Kontrolle hält.«
Sieh mal einer an! Nicht nur gekränkte Wirtschaftsberaterinnen verfügten also über kurze Drähte zu einflussreichen Stellen, dachte Lorinser. Offensichtlich hatte Timmermans die Kollegin informiert. Die Frage war, ob vor oder nach dem Gespräch. Wenn danach, hatte Timmermans sich nicht überzeugen lassen. Oder sollte die »Unterstützung« etwa eine trickreich angesetzte Lehrstunde in Sachen korrekter Vernehmungstechnik sein?
»Es ist Ihr Fall«, sagte Lorinser und hob die Hände.
»Genau, Kriminalobermeister!«
»Ich geh dann mal«, sagte Steinbrecher, winkte fröhlich mit der zusammengerollten Zeitung, machte aber den Eindruck, als flüchtete er von einem Schlachtfeld.
KHK Hildebrandt ließ ihn passieren, ging an den Schreibtisch, nahm den Hörer vom Telefonapparat und bat die Wache, den rabiaten Nachwuchsräuber zur Vernehmung vorzuführen.
»Ich krieg so was nicht runter«, sagte Steinbrecher. Fasziniert und entsetzt zugleich starrte er auf die Schnecke, die Lorinser sich in den Mund schob. »Wenn ich die sehe, denke ich immer an den Schleim, den die auf den Wegen hinterlassen. Hast du mal gesehen, wenn die sich gegenseitig auffressen?«
»Machen sie das?«
»Auf jeden Fall. Wenn eine tot ist, dann kommen ganze Trupps und stürzen sich darauf. Wie die Kannibalen. – Dabei würde ich gerne wissen, wie die schmecken.«
»Ohne Probieren geht das nicht.«
»Das ist es ja.«
Lorinser spießte eine weitere auf und hielt sie Steinbrecher hin. »Mach einfach die Augen zu und denk an die Hildebrandt. Bei der würdest du ja auch nicht nein sagen.«
»Was du nicht alles glaubst!«
»Ich habe Augen im Kopf, werter Kollege.«
Steinbrecher schüttelte sich.
»Komm schon!«
»Nee, lass sein«, wehrte Steinbrecher ab. »Ich schaffe es einfach nicht!«
»Die du im Kopf hast, sind Nacktschnecken. Rot, schwarz, klebrig und Augen in komischen Löchern und ungenießbar. Die hier sind wie die Hildebrandt, schleppen allerdings ihr Haus mit sich herum. Helix pomatio . Wirklich gut!«
Steinbrecher schauderte und trank von seinem Grauburgunder. »Hast du ’ne Ahnung, wie die im Stall genannt wird?«
»Ich weiß nur, dass sie wirklich was drauf hat.«
»Die eiserne Jungfrau«, sagte Steinbrecher.
»Vielleicht ist sie ja anders rum.«
»Du hast für alles eine Erklärung, was?«
»Quatsch.« Lorinser tupfte mit einem Stück Weißbrot heißes Öl aus der Schale. »Ich versuche nur, hinter die Dinge zu kommen. Kann ja auch frigide sein. Manche Frauen sterben ungefickt.«
»Frauen!« Steinbrechers Augen wirkten in ihren tiefen Höhlen wie stumpfe Kiesel. »Meine konnte nicht genug kriegen«, flüsterte er. »Richtig nymphoman. So viele Kerle, wie sie brauchte, konnte die gar nicht aufreißen. Ich sag dir, dann hast du’s ganz schnell hier!« Er führte die rechte Hand über die Kehle. »Und du? Bist du gebunden?«
»Weiß ich nicht so genau.«
»Wie das? In Scheidung, oder wie?«
»Befreundet, verlobt vielleicht. Erst wollte sie mit raufkommen, dann wieder nicht. Hat sich die Gegend hier angesehen. Die Stadt. Die leeren Läden. Behauptete, sie hätte hier niemanden lachen gesehen. Und dann noch meine halb leere Bude, die unausgepackten Kartons. Das war es dann. Vermutlich«, schob er nach. Das Thema hat sich wohl erledigt, dachte er, ohne sonderlich viel Trauer zu verspüren.
»Tut mir leid für dich. Aber erstens findest du überall nette Frauen, und zweitens hat das Alleinsein ja auch seine Vorteile. Du brauchst auf niemanden Rücksicht zu nehmen.«
»Und vor Langeweile tust du mehr für die Karriere?«
Steinbrecher mühte sich ein Lächeln ab. »In meinem Alter machst du dir darüber keine Gedanken mehr. Noch zehn Jahre, dann ist Feierabend. Dann verkloppe ich das Haus und … vielleicht setze ich mich dann ins Wohnmobil und gucke mir die Welt
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