Bitteres Blut
ihn weggehen zu sehen. Kein Tag, um Lotto zu spielen, hätte seine Mutter wohl orakelt.
Zum Trinken auch nicht, sagte er sich, als das zweite Bier durch seine Kehle floss und er die plötzliche Müdigkeit in seinen Gliedern spürte. Benommen erinnerte er sich daran, dass der Arzt ihm für die nächsten Tage ein striktes Alkoholverbot diktiert hatte. Aber was ist schon ein ärztliches Verbot, wenn man gegen seinen Willen vom Dienst ausgeschlossen ist? Selbst der in Schönschrift und auf Umweltpapier verfasste Brief seiner Freundin Jutta, mit dem sie ihm den als »Umorientierung« bezeichneten Laufpass gegeben hatte, war leichter zu verdauen als diese breiige Leere, die er während des Lesens fühlte, obwohl die Eiseskälte, in der sie ihreMotive »gegen unsere Beziehung« aufgelistet hatte, ihm trotz aller Erleichterung einen Stich versetzte. »Ich hoffe, dass Du recht bald die für Dich richtige Partnerin finden wirst. Liebe Grüße, Jutta«, hatte sie mit grüner Tinte den Schlusspunkt gesetzt. Welch ein Tag! Zum Glückspiel lud er wirklich nicht ein.
Mit halbem Ohr lauschte er der dreiköpfigen Anglerfraktion, die am Stehtisch hinter ihm über einer Batterie von Bierdosen über den Sinn und Unsinn vom Lebendködern beim Teichfischen diskutierte. Er blickte auf die Uhr über dem Eingang des Juweliers. Noch zwanzig Minuten, bis er seine Wohnung wieder betreten durfte. Teufel auch, dachte er, es ist eine Frau , die Katta so hergerichtet hat! Eine, der die Fäuste ganz schön locker sitzen und der wahrscheinlich das blitzblanke BMW-Cabrio gehört, das er im Schatten der Hofeinfahrt gesehen hatte.
Ein Rollstuhlfahrer bremste vor der Holzbude und bestellte bei der gelangweilten Bedienung eine Currywurst, aber extrascharf und mit Toast anstelle des Brötchens. Einige wenige Passanten verloren sich in der Leere der Fußgängerzone. Kein Lächeln auf den Gesichtern. Das hatte Jutta richtig gesehen. Und auch, dass der wirtschaftliche Aufschwung hier noch nicht angekommen war. Das ist Katta mit dem Signal zur Rückkehr, vermutete Lorinser, als sein Telefon läutete. Aber es war Steinbrecher mit der besorgt, jedoch wie Hohn klingenden Frage nach dem »werten« Befinden.
»Was glaubst du denn? Dass ich in Erwartung der Braut um ein Freudenfeuer tanze?«
»Klingt ja nicht gerade nach Männerglück, mein Lieber. Aber vielleicht richtet es dich auf, wenn du hörst, dass wir in der Sache einen gehörigen Schritt weitergekommen sind. Sieht wenigstens so aus«, schränkte er nach einer kurzen Pause ein.
Wir? Ihr , verdammt noch mal, schoss es Lorinser mit einem Anflug von Neid durch den Kopf. Dennoch war er dankbar, dass sein Kollege ihn auf dem Laufenden hielt. »Das heißt was?«
»Na ja, Kröger hat uns offensichtlich seine ganz spezielle Version der Wahrheit beigebogen. Der Übernahmevertrag, den er lauteigener Einlassung wenige Stunden vor dessen Tod mit Hinrich Böse abschloss, ist vierzehn Tage später von genau demselben angefochten worden.«
»Direkt aus dem Jenseits, oder wie?«
»Könnte man meinen, ja, aber es ist viel einfacher. Hinrich Böse starb erst ein Jahr später. Eine Woche nachdem die Kommission der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft den Vertrag in zwei wichtigen Punkten als rechtswidrig beurteilt und insoweit für nichtig erklärt hatte.«
»Woher hast du das denn?«
»Ich hab gegoogelt. Ich habe ›Böse‹ plus ›K-Tec‹ plus ›Elastomere‹ eingegeben und landete in der EuroVoc-Datenbank der Europäischen Kommission, in der anscheinend alle von ihr erlassenen Entscheidungen gespeichert sind. Die betreffende ist vom 27. Juli 1978 und wurde aufgrund einer Beschwerde Heinrich Böses aus dem Jahr davor gefasst. Stolze neunzehn eng bedruckte Seiten, die hier vor mir liegen.« Steinbrecher atmete hörbar durch. »Aber es gibt noch ’ne Überraschung. Ich habe mit diesem Angstmeyer telefoniert, dem Justiziar der K-Tec. Er bestätigte nicht nur das Vorhandensein des Urteils, sondern räumte auch ein, dass er mit dem jungen Böse verhandelt hat. Aber nicht nur er. Auch Kröger selbst. Erinnerst du dich, wie der sich dazu einließ?«
Lorinser nickte. Kröger hatte kategorisch verneint, mit Thorsten Böse gesprochen, mehr noch, er hatte behauptet, den jungen Mann niemals kennengelernt zu haben. »Sauber«, sagte er und hielt die Flamme seines Feuerzeugs an die Zigarette. »Vorausgesetzt, Kröger hat tatsächlich gelogen. Was ich mich frage, ist, was ihn bewogen haben kann, ein solches Risiko
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