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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Voss
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Sekunden lang hielt er Lorinsers fragendem Blick stand, hob dann kaum merklich die Schultern und schüttelte den Kopf. »Ich nehme an, dass es so war, aber sicher bin ich mir nicht. Wenn etwas zur Gewohnheit wird, nimmt man es ja kaum noch richtig wahr. Bewusst , meine ich. Aber ich will nichts Falsches erzählen.«
    »Ist es denn richtig, dass Wolfhardt Böse einen klaren Rhythmus hat, jeden Morgen zur gleichen Zeit dort ist?«
    »Auch das kann ich nicht behaupten. Ich stehe ja nicht jeden Morgen da und passe auf, ob er unterwegs ist. Auf jeden Fall habe ich ihn dort schon oft gesehen. Aber immer nur an Werktagen. Sonntags bleibt unser Wecker in Ruhestellung, und wir schlafen, solange wir können.«
    »Wie war die Sicht am Montag? Gut?«
    »Sehr gut sogar, wenn auch verhangen.«
    »Haben Sie andere Menschen gesehen? Autos, andere Fahrzeuge?«
    »Hannes war da, unser Milchbauer. Zumindest sein John Deere. Ob er draufsaß, könnte ich allerdings auch nicht beschwören. Ab und zu ist ja auch seine Frau mit dem Ding unterwegs.«
    »Hannes ist Johannes Hollenberg?«
    »Richtig«, sagte Sievers und schob die Sonnenbrille wieder vor seine Augen.
    »Er tauchte um sechs auf?«
    »Ein bisschen später, würde ich sagen. Zehn Minuten, eine Viertelstunde, in dem Rahmen etwa.«
    »Wo hat er den Trecker abgestellt?«
    »Da gibt es nur die eine Möglichkeit. Von uns aus gesehen rechts vor der Schranke auf dem Aschestreifen.«
    »Kann es sein, dass der Trecker den Wagen Böses verdeckt hat?«
    Wieder dieses nur angedeutete Kopfschütteln. »Nee«, sagte Sievers entschieden, »von unserem Stirnfenster können wir den gesamten Parkstreifen sehen. Nein, ich bin mir ziemlich sicher, dass der Volvo da nicht abgestellt war.« Er griff sich an dieschweißglänzende Nase. »Jetzt, da Sie das fragen, bin ich mir auch ziemlich sicher, dass der Alte nicht aufgetaucht ist. Er kommt ja nie ohne seinen Wagen. Warten Sie, ich rufe mal eben zu Hause an. Kann ja sein, dass mein Lebensgefährte mehr darüber weiß. Natürlich nur, wenn Sie nichts dagegen haben. Haben Sie?«
    »Sie können mich ja mithören lassen, wenn Ihr Gerät das hergibt«, sagte Lorinser und gönnte sich den ersten Schluck seines Espresso. Zufrieden mit seiner Gesprächsführung war er immer noch nicht.
    Sievers rief an, stellte seine Fragen. Die sich etwas dünn aus dem Lautsprecher windende Stimme seines Lebensgefährten war kaum zu verstehen. Ja, er sei recht sicher, an diesem Montagmorgen weder den Alten noch dessen Wagen gesehen zu haben. Bestätigen könne er lediglich, dass Johannes Hollenberg mit seinem Trecker und später ein Streifenwagen und der Kommissar aufgetaucht seien. »Du weißt schon, der Kommissar, der bei uns war, der mit der Isetta.«
    Lorinser presste die Lippen zusammen.
    »Sie fahren tatsächlich eine Isetta ?«, fragte Sievers ungläubig und mit einem breiter werdenden Grinsen auf den Lippen. »Diesen verkleideten Steinzeitküchenstuhl von BMW, den man vorne wie eine Büchse aufklappt?«
    »Ihr Freund scheint einen mehr als dicken Knick in der Optik zu haben«, sagte Lorinser leicht angestochen. Dass Sievers ihn spöttisch betrachtete, machte es auch nicht gerade besser. »Es ist ’ne Isabella. Von Borgward, falls Ihnen der Name was sagt.«
    »Mir schon, aber Diddi hat’s nicht so mit Technik. Für ihn ist alles, was tot ist und sich bewegen lässt, ein nur schwer zu ertragendes Übel. Erinnern Sie sich, was ich Ihnen über das Thema seiner Promotion gesagt habe?«
    »Selbstverständlich«, knurrte Lorinser, verärgert darüber, schon wieder in der Defensive zu sein, und noch mehr darüber, dass ihn die banale Verwechslung so sehr aufbrachte. »Aber das entschuldigt doch nicht seine offensichtlichen Wahrnehmungsprobleme!«
    »Ich versuche ja nur zu erklären, dass er wirklich in einer anderen Welt lebt. Und in der kommen die Sachen, die für Sie Alltag sind, einfach nicht vor. Verstehen Sie, was ich meine?«
    Lorinser ahnte den fragenden Blick hinter den dunklen Gläsern der Sonnenbrille. Der spöttisch verbogene Mund seines Gegenübers vermittelte ihm den Eindruck, längst durchschaut zu sein. Er fragte sich besorgt, ob der Schlag des Peruaners nicht nur seine Physis, sondern auch seine Psyche in Unordnung gebracht hatte. »Ich ahne es«, mühte er sich innerlich kapitulierend ab und bat mit der Gewissheit, nicht nur mental in einer Sackgasse gelandet zu sein, die zwischen den Tischen herumspazierende Kellnerin um die Rechnung.

10
    Er erinnerte

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