Bitteres Blut
Gedanken wie Bälle herumhüpften und der vergeblich nach einer Antwort auf die Frage suchte, aus welchen Gründen Böse lediglich für zwanzig Euro getankt hatte. Am Geldmangel konnte es angesichts seines wohl gefüllten Kontos nicht gelegen haben, und erst recht nicht, wenn zutraf, dass sein Vater ihm 250 Euro geliehen hatte. Es gab eine ganze Reihe ungelöster Fragen. Woher, zum Beispiel, kamen die zehntausend Euro, die Böse auf sein Konto eingezahlt hatte? Hatte die K-Tec die Summe als Zeichen des Entgegenkommens gezahlt? Hatte Kröger Böse tatsächlich getroffen und ihm die Summe als Bonbon gegeben, um den für ihn lästigen Fall von seiner Agenda zu streichen? Wo war Thorsten Böse um Mitternacht gewesen? Zu Hause, wie sein Vater beschworen hatte, oder doch in dem mit viel Aufwand hergerichteten Bürocontainer der Simmerau?
»An beiden Orten kann der Junge jedenfalls nicht gleichzeitig gewesen sein«, sagte Steinbrecher und malte einen zweiten Kreis.
»Deutschlandlied gegen Uhrschlag.«
»Mutter und Sohn in fester Eintracht gegen einen gar nicht so tüddeligen Greis. Wenn es nach mir ginge, würde ich beide mit einem Durchsuchungsbefehl in der Hand besuchen.«
»Und du glaubst, den kriegen wir durch?«
»Vergiss es«, sagte Steinbrecher und schüttelte den Kopf. »Da muss bei denen schon Leichengeruch aus den Fenstern wehen, ehe du einen Richter zur Unterschrift bewegen kannst. Die einzige Chance ist, sie vorzuladen und zu vernehmen. Aber ich habe meine Zweifel, ob sich die Mühe lohnt, so festgelegt, wie die sich haben. Außerdem: Bringt es uns weiter, wenn sich herausstellt, dass die Uhr des Alten nachgeht?«
»Es ist schon wichtig zu wissen, wo das Opfer zuletzt war.«
»An der Tankstelle, Kollege, zwei Minuten vor eins.«
»Hast du das mit der Videoüberwachung überprüft? Haben die überhaupt eine installiert?«
»Haben sie. Aber auch einen an der Waffel«, sagte Steinbrecher aufgebracht. »Ich habe das Band am Montag angefordert. Dringlich. Aber diese Arschgeige von Pächter hat es erst am Donnerstag abgeschickt, als ich ihm Dampf gemacht habe. Aber wohin schickt er’s? Natürlich nicht zu uns, sondern an die Firmenzentrale. Freitag habe ich dann nachgehakt. Essig. Die Kassette war selbstverständlich noch nicht eingetroffen. Samstag arbeiten die nicht. Das heißt, wenn wir großes Glück haben, trifft das Ding morgen bei uns ein. Der Heini kam gar nicht auf die Idee, mal eine neue Kassette einzuschieben, obwohl er dazu verpflichtet ist! Wir können also damit rechnen, dass es zig Mal überspielt wurde. Ob die entsprechenden Sequenzen von unserer Technik herauszufiltern sind, wage ich zu bezweifeln.«
»Tja, die Woche fängt richtig gut an.«
»Wenn du meinst, Kollege.«
»Sage nicht ich, sagte der Mann, der am Montagmorgen gehenkt werden sollte.«
»Du mit deinen Sprüchen«, murmelte Steinbrecher und deutete mit seinem Kugelschreiber auf Lorinsers Zigaretten. »Lass uns lieber noch eine rauchen.«
Lorinser schnibbte ihm nach kurzem Zögern die Packung zu. »Behalte sie. Ich versuche, noch ein bisschen ohne auszukommen.«
»Du willst wirklich aufhören?«
»Ich will wissen, wie es sich anfühlt.«
»Wie es sich anfühlt?« Steinbrecher machte eine wegwerfende Handbewegung. »Zum Kotzen«, sagte er. »Plötzlich kannst du dich selbst nicht mehr leiden, weil du dich verfolgt fühlst. Von dir selbst. Du hast das Gefühl, einen Aufpasser hinter dir zu haben. Und dann kommt der Punkt, an dem du in jedem Raucher einen Heiden siehst, den du missionieren willst. Echt scheiße, glaub mir.«
»Wir werden sehen. – Kümmerst du dich um die Spur Kröger?«
»Mach ich. Aber nur, weil du mich bestochen hast. Und du? Wohin führt dich dein Teamgeist?«
»Ich will noch mal mit der Bersenbrück in Sachen Porsche sprechen.«
»Du könntest Frau Kröger heimsuchen, falls die sich nicht wieder auf Sylt in der Sonne aalt und dir ohne Vorladung ein Interview gewährt.«
Lorinser nickte. »Ja, warum nicht? Ich rufe sie an. Aber erst schau ich mal, ob ich einen Kaffee auftreiben kann. Vielleicht fällt mir ja beim Trinken die Lösung des Falles ein.«
»Lass es mich aber wissen, damit ich den Mist einpacken kann«, sagte Steinbrecher und ließ seine Hand auf die vor ihm liegende Akte fallen. »Und herzlichen Dank. Für die Zigaretten, meine ich.«
»Keine Ursache«, sagte Lorinser und verließ mit dem Gefühl, wieder in Gnade aufgenommen zu sein, das verräucherte Büro.
»Nein, Mutti, das sind
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