Bitteres Blut
Rekorders springen. Die Lust auf Johnny and the Hurricanes und ihrem wirklich fantastisch gespielten »Red River Rock« war ihm gründlich vergangen.
Kröger?
Nachdenklich startete er den Motor, im Kopf das Wildwasser seiner von Zweifeln und düsteren Fragen getriebenen Gedanken. Voller Trotz bog er nicht nach rechts in Richtung Brockum und Diepholz ab, sondern nach links. In Richtung Moor.
Jetzt, um halb zwei nachmittags, stand die Sonne zwar noch hoch am Himmel, aber ihre Strahlen fielen ziemlich schräg durch die Birken auf den nur von Treckerspuren aufgewühlten Weg. Ein im Geäst versteckter Eichelhäher meldete mit aufgeregtem Gekecker den Eindringling, der seine Isabella nach etwa einhundert Metern gestoppt und rückwärts mit dem Gefühl, noch einmal davon gekommen zu sein, auf dem »Touristenparkplatz« abgestellt hatte, um die von Grassoden und Löchern übersäte Strecke ins Moor zu Fuß zu erkunden.
Wie es der Porsche über den holperigen Weg geschafft haben sollte, war für Lorinser ein Rätsel. Wie ein Schlitten musste er über die zwischen den Fahrspuren aufragende Grasnarbe geglitten sein. Ein Wunder, dass die heißen Auspuffrohre und vor allem der glühende Turbolader keinen Brand entfacht hatten. Aber vielleicht, dachte Lorinser, war es an diesem frühen Montagmorgen noch zu nass gewesen. Reifenspuren fand er jedenfalls nicht.
Trotzdem war es schön, diesen Weg zu gehen, die würzig-harzige, nach Erde und frischen Pilzen riechende Luft zu atmen, dasKnacken und Knarren der Bäume zu hören und das Gezwitscher der Vögel mit dem beruhigenden Gefühl zu genießen, fernab vom hektischen Geschehen und vor allem nicht in der neuerdings feindseligen Inspektion zu sein. Solltest du öfter mal machen, sagte er sich. Ganz früh morgens, wenn der Tau noch in den Gräsern glitzert und der Dunst aus der Erde steigt. Zusammen mit Paula. Besser jedenfalls, als sich den eiligst zusammengemixten Kaffee übers Hemd zu gießen und sich obendrein die Lungen mit dem elenden Zigarettenqualm zu verkleistern.
Er hörte Stimmen. Der Klang schleifender Ketten und von klirrendem Metall durchschnitt die würzig-warme Luft. Ein Schatten huschte über den Baumkronen hinweg – ein Bussard, der lautlos im Dunkel des Waldes entschwebte. Sekunden später tauchten wie aus dem Nichts von links zwei in den Spuren nebeneinander strampelnde, etwa vierzigjährige Radfahrerinnen auf, deren graue Jogginganzüge vom Schweiß dunkel verfärbt waren. Nein, sagten sie ihm atemlos, sie seien zwar nicht aus der Gegend, aber an »von Menschenhand Gebautem« wären sie während der letzten Minuten garantiert nicht vorbeigekommen. Weiter hinein gäbe es zwar einen »offenen Streifen«, aber auch dort wären nur einige wenige Bäume zu sehen. Höchstens noch drei Minuten bis dahin, behaupteten sie.
Tatsächlich benötigte Lorinser ganze zehn, bis er endlich die von Ebereschen, Eichen und Birken gesäumte und von einer Senke durchzogene, höchstens fünfzig Meter breite Brache erreichte. Jetzt verstand er, warum die Frauen »offener Streifen« gesagt hatten. Lorinser rieb sich das Kinn. Die Lichtung schien Endpunkt des Weges zu sein.
Endstation auch für Böses Porsche?
Er schüttelte den Kopf. Nein, hier sah nichts nach Moor aus, wenigstens nicht nach einem, in dem ein Auto versinken würde. Er verließ den Weg und ging auf die Brache zu. Seine Schuhe hinterließen zwar Spuren, aber der Boden war hart genug, um ihn zu tragen. Er sprang hoch. Als er wieder landete, gruben sich seineSchuhe zwar tiefer in die mit Moos bewachsene Erde, aber von Versinken konnte keine Rede sein.
Kein Grab, dachte er, wenigstens keines für einen Porsche. Lorinser kehrte auf den Weg zurück. Nein, sagte er sich, nahezu ausgeschlossen, ein Fahrzeug wie den Porsche hier herzufahren. Die Isabella hatte ja schon nach wenigen Metern gebockt. Und Messmann hatte ja auch nicht definitiv behauptet, der Wagen sei in den Weg abgebogen, sondern hatte das lediglich als Möglichkeit eingeräumt. Wo aber, zum Teufel, kann das verdammte Auto stecken?
Nur zu gerne hätte Lorinser über den Fall, über Kröger gesprochen. Mit Steinbrecher? Vergiss es, sagte er sich. Der wähnt sich im siebten Himmel des Triumphes und wartet wohl ungeduldig wie ein an der Leine zerrender Jagdhund auf den Haftbefehl … Mit Hildebrandt? Sie hat genug mit sich und dem Tod ihrer Mutter zu tun …. Nein, wenn es jemanden gab, der Vernünftiges über Kröger sagen und ihn einschätzen konnte, dann
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