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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Voss
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empört, wirkte Kröger wie eine vor der Kapitulation stehende Schablone seiner selbst. Er zwang seine Schulter zur Ruhe, schien seine Kraft zu sammeln, ehe er sich unvermittelt umdrehte und die ihn eingriffsbereit umstehenden Männer der Reihe nach musterte. Sein Blick blieb an Lorinser haften, verengte sich, während die Lippen sich zu einem verächtlichen Lächeln kräuselten. Sich abwendend, richtete er die gefesselten Hände wie eine Pistole gegen Steinbrecher.
    »Auch wenn Sie es noch nicht glauben, werter Herr Hauptkommissar, ich werde … daafür sooorgnn, daass … haaiiiiwööiii …« Die Stimme erlosch. Ein scharfes Zischen trieb blasigen Speichel über Krögers blau verfärbte Lippen. Sein linkes Bein gab nach, als hätte ihn ein unerwarteter Schlag an der Kniekehle getroffen. Mit vergeblich nach Halt suchenden Händen knickte sein Körper in Hüfthöhe ein, taumelte und brach, den Kopf grotesk auf die sich noch immer bewegende linke Schulter gesenkt, in sich zusammen. Als er aufschlug, löste sich seine Brille und torkelte auf Steinbrecher zu, der, den Handschellenschlüssel in die Luft schleudernd, entsetzt zur Seite wich und gegen einen der Uniformierten prallte.
    »Den Arzt!«, rief Hildebrandt Augenblicke später wie aus der Trance erwachend und stürzte auf ihren Schreibtisch zu. Lorinser schob sich zwischen den Uniformierten vorbei auf den Liegenden zu, im Kopf die mahnenden Worte Olli Krögers: »Seien Sie gnädig. Der alte Herr ist fast siebzig und nicht bei bester Gesundheit.«
    Wie man sieht, dachte er und versuchte, sich an die Notfallmaßnahmen zu erinnern, die jetzt gefragt waren. Lorinser hatte nicht die Zeit, weiter darüber nachzudenken. Er kniete neben Kröger nieder, fuhr ihm mit dem Zeigefinger in den offenen Mund, erwischte die Zunge und fragte sich, ob es reichte, sie in den linken Rachenraum zu drücken. Er machte es einfach,erlaubte sich, an der Halsschlagader nach dem Puls zu fühlen, war aber nicht sicher, ob es einen gab. Dann bettete er Krögers Kopf auf dessen angewinkelten linken Arm und bellte in den Flur, jemand solle doch verflucht noch mal ein Kissen oder eine Decke oder irgendeinen Scheiß besorgen, mit dem man den Bewusstlosen stabilisieren könne. Drei Beinpaare setzten sich gleichzeitig in Bewegung, während Hildebrandt laut, aber ohne jede Hektik zum zweiten Mal im Tone eines Stadionsprechers am Telefon bestätigte, dass der Notfall gerade eben im ersten Geschoss der Diepholzer Polizeiinspektion stattgefunden habe. »Machen Sie schnell«, fügte sie einen Ton lauter und ungeduldiger hinzu, ehe sie den Hörer auf das Bett des Apparates knallte. Das Geräusch mischte sich mit den Schritten Steinbrechers, der schwer atmend mit einem Sitzkissen herangelaufen kam und es Lorinser, der Krögers rechtes Bein über das linke winkelte, mit einem gepresst herausgedrücktem »O Scheiße, Scheiße« reichte.
    Hildebrandt kniete nieder und fühlte Krögers Puls. Nach einigen Sekunden nickte sie. »Da ist er noch«, sagte sie, »aber sehr, sehr schwach.«
    Die Ruhe nach dem Sturm. Im Flur lagen noch die Reste des Notarzteinsatzes. Verpackungen, Mulltupfer, die weiß-rote Fliege Krögers, der nach dem Eintreffen des Rettungsteams nicht mehr »zur Haft Vorgeführter«, sondern nur noch »Patient« geheißen hatte und auf dem Weg ins Krankenhaus war. Die Splitter seiner Brille, die unter dem Tritt eines Sanitäters zu einem zerquetschten Knäuel vergoldeter Drähte verkommen war und nun, in eine mit einem weißen Namensschildchen beklebte Plastiktüte verpackt, auf einem braunen Din-A4-Umschlag auf dem Schreibtisch lag. Steinbrecher hatte die Angehörigen über den Herzanfall benachrichtigt. In der Tür, Krögers zurückgelassenen Schuh in den Händen drehend, wartete der Hausmeister darauf, »entsprechende Anweisung wegen des Fundstücks« zu erhalten. Krögers Fliege hatte er wohl noch nicht als solches erkannt.
    Mit einer Bewegung, die mehr als Verdruss, die Erschöpfung andeutete, nahm Hildebrandt den Schuh entgegen und platzierte ihn mit einem geseufzten »Danke« neben den Brillenbeutel. Der Hausmeister ging hinaus und schloss die Tür. Steinbrecher hob wieder mal die Schultern und schüttelte gleichzeitig den Kopf, als wollte er damit seine Unschuld an dem Desaster demonstrieren. Aber er schwieg. Ob wegen der eigenen, unrühmlichen Rolle bekümmert oder gar schuldbewusst, blieb Lorinser verborgen. Eine Rolle spielte es sowieso nicht, weil Hildebrandt bereits jedes

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