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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Voss
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aber wie eine von Planeten umkreiste Sonne schien er sich angesichts des störrisch im Flur stehenden Kröger nicht zu fühlen. Als der mit Anzug, Fliege auf weißem Hemd und hellbraunenSommerschuhen bekleidete Unternehmer auch noch mit einer Körperdrehung das Aufschließen der Handschellen verweigerte und darauf bestand, sie sich erst dann abnehmen zu lassen, »wenn mein Rechtsbeistand davon Kenntnis genommen hat«, erlosch das Licht im Gesicht des Kollegen vollends. Ratlos blickte er Kröger, dann die beiden uniformierten Begleiter, Lorinser und schließlich KHK Hildebrandt an, die abwartend und mit verschränkten Armen am Türrahmen ihres Büros lehnte. Sie schien seine Not nicht zu erkennen, oder nicht erkennen zu wollen. Jedenfalls griff sie nicht ein.
    Ihr kühles Interesse galt dem sommerlich gekleideten Kröger, auf dessen versteinertem Gesicht die tiefbraunen Altersflecken auf dem Aschgrau der Haut wie dürres Laub auf einem Gewässer schwammen. Seine hellen Augen funkelten, während der linke, angewinkelte Arm sich Kraft pumpend auf- und niederbewegte und den an sie gefesselten rechten wie das Triebgestänge einer Dampflok in die gleiche Bewegung zwang. Er machte einen kämpferischen Eindruck, entschlossen, sich nicht von der Stelle zu rühren und erst recht nicht das Aufschließen der Handfesseln zuzulassen. Hildebrandt erwartete offensichtlich, dass Stein­brecher das Problem löste.
    Lorinser, der zwischen Treppenaufgang und den beiden eingreifbereiten Uniformierten auf die Freigabe des Ganges wartete, mochte sich nicht festlegen. Nur eines war ihm klar: Obwohl Steinbrecher innerlich kochte und den Kopf wie zum Angriff senkte, litt er angesichts der ungewöhnlichen Situation wie ein geprügelter Hund. Seine mit dem Handschellenschlüssel in der Luft herumstakende Hand sank kraftlos herab. Sein Mund öffnete und schloss sich. Das Hecheln seines Atems wehte durch den überhitzten Flur.
    »Na gut, das ist dann Ihre Sache«, würgte er schließlich heiser hervor. »Ich habe nichts weiter als meine Pflicht getan. Nur meine Pflicht!«, fügte er bellend nach einer kurzen Pause hinzu. Seine Worte klangen wie das hämische Echo seiner Hilflosigkeit.
    Kröger, empört zwar, aber alles in allem von erstaunlicher Gelassenheit, ignorierte den Versuch der Rechtfertigung, indem er Steinbrecher den Rücken zuwandte. Er fixierte KHK Hildebrandt durch die scharfen Gläser seiner Brille und schien instinktiv zu wissen, dass die junge Beamtin die größere Rolle in seinem Drama spielte. Sein breites Kinn stach auf sie zu.
    »Meine Festnahme mag ja formal rechtens sein«, sagte er scharf und hielt der reglosen Hauptkommissarin anklagend die gefesselten Hände entgegen. »Aber die Art und Weise, wie sie vorgenommen wurde, ist besonders deshalb äußerst skandalös, weil ich diesem Herrn« – er deutete mit der Schulter hinter sich – »meine umfassende Kooperation angeboten habe. Dass er dennoch darauf bestand, mich wie einen gefährlichen Kriminellen gefesselt abzuführen, kann und werde ich nicht hinnehmen. Ich verlange, vorbehaltlich weiterer Schritte, mich bei seinem Vorgesetzten beschweren zu können.«
    In Hildebrandts Gesicht zuckte kein Muskel. »Ich bin die Vorgesetzte«, sagte sie betont langsam und zauberte ein Lächeln auf ihr noch immer von Tränen und Trauer gezeichnetes Gesicht. »Ich verstehe Ihren Unmut, Herr Kröger, aber ich muss Sie darauf hinweisen, dass unsere Beamten nicht eigenmächtig, sondern im Einklang mit bindenden Vorschriften und aufgrund einer richterlichen Anordnung gehandelt haben. Selbstverständlich respektiere ich, dass Sie mit dem Aufschließen der Handfessel bis zum Eintreffen Ihres Anwalts warten wollen … Aber der Flur ist, und ich hoffe, Sie werden das verstehen, zum Warten der denkbar ungeeignetste Ort.« Sie wies mit der rechten Hand in ihr Büro. »Ich bitte Sie, einzutreten. Sollten Sie jedoch meiner Anweisung keine Folge leisten, werde ich Ihre vorläufige Unterbringung in der Zelle anordnen. Ich hoffe, Sie zwingen mich nicht dazu.«
    Beeindruckt schien Kröger nicht zu sein. Dass ihn die Festnahme in den Grundfesten seines Selbstverständnisses getroffen hatte, zeigte sich an seinem zusammengesunkenen und kraftlos wirkenden Körper. Die Ankündigung, in eine Zelle gesperrt zuwerden, ließ seinen Adamsapfel auf- und niedertanzen. Das war nicht der Mann, den Lorinser kennengelernt hatte. Er wirkte kleiner und zerbrechlicher, als er ihn in Erinnerung hatte. Noch immer

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