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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Voss
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macht keine Witze«, sagte Halvesleben mit zitternder Stimme. »Ich kenne ihn. Ich kenne ihn gut genug. Wenn er das ankündigt, macht er das auch.«
    »Wegen dieser Scheißsumme?«
    »Es geht doch nicht um das beschissene Geld!«, warf Fleestedt heftig ein. »Es geht um sein Gefühl der Ohnmacht gegenüber dieser Bürokratie, deren Regeln keine Ausnahmen zulassen und deren Prinzip die maschinengesteuerte und in seinen Augen gnadenlose Exekution ist. Er sieht sich dieser Macht hoffnungslos ausgeliefert, sieht sich wehr- und hilflos, begreifen Sie das nicht?«
    »Aber er ist es nicht. Es gibt Instanzen …«
    »Ja«, sagte Fleestedt, »für Sie, für mich, aber offensichtlich nicht für ihn. Er sieht die Lage so, wie sie sich ihm darstellt. Warum das so ist, kann ich Ihnen nicht erklären. Was ich Ihnen erklären kann, ist, dass ich nicht zulassen will, dass er seine Absicht in die Tat umsetzt. Er braucht Hilfe, weil er sich, wie es aussieht, aus eigener Kraft nicht aus der Scheiße ziehen kann. – Und mit Ihren Instanzen seien Sie mal ganz schön vorsichtig. Sie schwitzen sich Ihren Arsch doch auch schon wund, weil Ihnen die Vorstellung die Schließmuskeln ruiniert, mir abseits der Dienstvorschriften Hilfe zu leisten und dafür von den Instanzen zur Rechenschaft gezogen zu werden. Und noch etwas, Herr Kriminalobermeister: Haben Sie eine Ahnung, wie viele Menschen sich Monat für Monat aus tiefster Verzweiflung umbringen? Haben Sie überhaupt eine Vorstellung davon, was Verzweiflung ist und was sie auslösen kann?«
    Von ganz tief unten, sozusagen aus dem Brackwasser seines Gehirns, puzzelte sich das längst begrabene Fernsehbild eines Mönches heraus, der – erinnerte sich Lorinser – sich irgendwo in Vietnam aus Protest gegen den mörderischen Krieg mit Benzin übergossen und angezündet hatte. Er sah die auflodernden Flammen, die sich schwärzende Haut, die sich bewegenden Arme, den hin und her schwankenden Körper, das in der Hitze zerplatzende Gesicht und spürte erneut das stumme Entsetzen jenes Augenblicks, als dieser Mensch von den Flammen verzehrt wurde. Sinnlos, wie er gedacht hatte. Aber das schreckliche Bild war wie ein Fanal um die Welt gegangen und hatte sich, wie bei ihm, unauslöschlich in die Hirne gebrannt. Er warf einen Blick auf Vauens Roman, auf dessen Porträt, sah das noch jungenhafte Gesicht mit den dunklen, hinter großen Brillengläsern versteckten Augen und fragte sich, wie lange diese Brille, das leicht gewellte in die Stirn fallende Haar, die skeptisch blickenden Augen und dieses Gesicht der Gluthitze standhalten würden. Und er fragte sich, welche Schrecken ein Mensch durchleben musste, um sich aus Verzweiflung freiwillig einem derart grausamen Tod auszuliefern.
    »Schon gut, schon gut«, sagte er schließlich und zog sein Handy aus der Tasche. Er wählte Steinbrechers Nummer. Und während er darauf wartete, dass der Kollege sich meldete, legte er sich die Worte zurecht, mit denen er Fleestedt klarmachen würde, dass er nicht zu denen gehörte, die nur ihre verdammte Karriere im Blick hatten und vor der Bürokratie und den Instanzen den Schwanz einzogen. Das, fand er, war er diesem arroganten Ex-Bullen, aber noch mehr sich selbst schuldig.

12
    Richtig, für einen Neuling in den geheiligten Hallen der Inspektion nahm er sich eine Menge heraus. Wenigstens in den Augen Steinbrechers, der sich am Telefon mächtig aufgeregt und die gleichen Sprüche wie gegen Fleestedt losgelassen hatte. Dass auch er, der Frischling Lorinser, sich an den Dienstweg halten solle, weil der – und nur der  – für derartige Anfragen nun einmal für alle Zeiten dafür vorgeschrieben sei. Wohin denn das führen solle, wenn jedes x-beliebige Arschloch ihn mit irgendwelchen Dringlichkeiten aus dem Stuhl jagen und von seinen Aufgaben ablenken könne. »Und«, hatte er ihn aus dem Schützengraben seiner Unerlöstheit angeblafft, »du weißt doch verdammt noch mal genau so gut wie ich, was du mir mit deinem noch verdammteren Nachhaken in Sachen Kröger an überflüssiger Arbeit eingebrockt hast. Und jetzt noch diese Scheißakte ausgraben, die längst passé ist und wahrscheinlich in der Tonne gelandet ist! Woher kennst du diesen penetranten Wichser überhaupt? Kein Schwein weiß, wer das ist! Und wieso bildet der Irre sich ein, dich vorschicken zu können, nur, um mir an den Karren pissen zu können?«
    Lorinser hatte es ihm geduldig erklärt und als Echo eine ganze Salve von ungläubigen Lachern geerntet,

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