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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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eine Blechdose aus dem Schrank. Kaum hatte sie den Deckel geöffnet, strömte Tilde ein betörender Duft entgegen. Echter Bohnenkaffee, kein Getreideersatz wie bei ihr zu Hause. Iolanda füllte |64| Kaffeepulver und Wasser in die Caffettiera und stellte sie auf den Herd. Tilde griff nach der Dose und schnupperte. Wie sie diesen Geruch liebte!
    »Herrlich«, schwärmte sie.
    »Warte nur, bis du einen Schluck getrunken hast«, lächelte Iolanda.
    Dann kam sie zur Sache. »Am Sonntagabend gibt es in der Kommandantur ein Fest. Wir könnten gemeinsam hingehen und ich stelle dich dort als meine Freundin vor. Meinst du, deine Eltern lassen dich gehen?«
    »Ich sage, ich übernachte bei meiner Tante.«
    »Sehr gut. Wir nehmen die Straßenbahn um sieben, damit wir vor der Ausgangssperre dort sind.«
    Das Wasser in der Caffettiera brodelte. Iolanda stand auf, nahm die Kanne vom Herd und stellte sie auf die Marmorplatte des Tisches. Dann nahm sie eine zweite Dose aus dem Schrank und reichte sie Tilde. Kaum zu glauben: Zucker. Die Dose war randvoll. Zu Hause gab es Zucker nur rationiert, auf Lebensmittelkarte. Ihre Mutter war krank und brauchte Medikamente, ihr kleiner Bruder ging noch zur Schule, für den Schwarzmarkt blieb da kein Geld übrig.
    »Hast du etwas Vernünftiges anzuziehen?«
    Auf diese Frage hatte Tilde gewartet. Natürlich besaß sie kein elegantes Kostüm, von hochhackigen Schuhen und Strümpfen mit Naht ganz zu schweigen. Wohlfühlen würde sie sich damit ohnehin nicht. Außerdem fragte sie sich, ob der Hauptmann nicht misstrauisch würde, wenn sie so elegant gekleidet auf dem Fest erschiene. Bei ihrer ersten Begegnung hatte sie den gewendeten alten Mantel ihrer Mutter und gestopfte Wollstrümpfe getragen. Sie äußerte ihre Bedenken.
    »Da ist was dran, Tilde, wir müssen einen Kompromiss finden.«
    |65| Sie stellte zwei Tassen auf den Tisch und legte zwei Kaffeelöffel daneben. »Was sind schon Kleider. Dein größtes Kapital ist deine Jugend. Hessen hat einen guten Geschmack, Schönheit braucht keine Schminke.«
    Dann goss sie den Kaffee ein. Tilde nahm einen Löffel Zucker. Iolanda lächelte. »Greif ruhig zu, alles gratis.«
    Tilde nahm noch zwei Löffel Zucker und genoss den Kaffee in kleinen Schlucken. Köstlich. Sie schloss die Augen und spürte, wie ihr die heiße bittersüße Flüssigkeit die Kehle hinunterrann. Schon lange hatte sie sich nicht mehr so wohlgefühlt. Ein sinnlicher Genuss, den sie so lange wie möglich auskosten wollte. Sie fühlte sich frei, der Schmerz über Biscias Verhalten war verschwunden. Wohlige Wärme kroch in jede Pore ihres Körpers, das knisternde Feuer tat sein Übriges. Jetzt konnte sie den Mantel ausziehen.
    Auch Iolanda hatte ihren Kaffee ausgetrunken. Sie zog ein Päckchen Zigaretten aus der Tasche ihres Morgenmantels, nahm eine heraus und riss ein Streichholz an.
    »Rauchst du?«
    Tilde schüttelte den Kopf, auch wenn sie insgeheim mit einer Zigarette geliebäugelt hatte. Die Geste hatte sie an Biscia erinnert, an die vielen Zigaretten, die er bei ihrer letzten Begegnung geraucht hatte. Ein verzweifelter Versuch, seine Männlichkeit zu beweisen und seine Gefühle zu betäuben.
    Du blöder Kerl, was glaubst du eigentlich, wer du bist?
    Der kurze Moment des Glücks war verflogen, jetzt zahlte sie den Preis. Der Schmerz war zurück.
    »Das Problem sind die Schuhe«, Iolanda warf einen kritischen Blick auf Tildes Füße, »hast du etwas Anständiges?«
    Die Exemplare mit den Pappsohlen konnte sie jedenfalls nicht tragen. Die letzten schicken Schuhe hatte sie vor dem Krieg von ihrer Mutter bekommen. Glänzende Lackschuhe, |66| die sie bei Elisabettas Hochzeit getragen hatte, ihrer Cousine, die bei einem Bombenangriff der Alliierten getötet worden war.
    Wie sollte das nur weitergehen? Dieser Krieg war unerträglich. Nacht für Nacht rissen die Alarmsirenen sie aus dem Schlaf. Noch nicht ganz wach hörte sie das Brummen der näher kommenden Flugzeuge und die Stimme ihrer Mutter: »Aufstehen, wir müssen sofort hier raus!«
    »Geht schon, lasst mich in Ruhe«, hatte sie das letzte Mal geantwortet und sich zur Wand gedreht.
    »Bist du verrückt?« Die Mutter riss ihr die Bettdecke weg und schüttelte sie. Jetzt war sie richtig wach. Sie warf sich etwas über und stürzte in die Dunkelheit hinaus, die von den feurigen Fäden der Leuchtspurgeschosse durchschnitten wurde. Der Nachthimmel schien zu explodieren, wie bei einem Feuerwerk, dann waren die ersten dumpfen Detonationen

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