Bitteres Rot
Aktion ausgegangen war. Freundschaft hin oder her: Du bist und bleibst ein ganz normaler Bürger und mehr kann ich dir nicht sagen.«
»Schon gut, schon gut«, sagte ich und wandte mich zur Tür, »nur, dass du ohne die Informationen dieses ganz normalen Bürgers gar nicht so weit gekommen wärst.«
Das war noch nicht einmal übertrieben. Jasmine hatte einen transsexuellen Freund namens Chérie. Er hatte mir, kurz bevor er umgebracht worden war, einen Brief geschrieben. In wenigen Zeilen berichtete er von den üblen Machenschaften, denen Jasmine zum Opfer gefallen war. Blutjunge Frauen, die illegal in Italien lebten, wurden von einer skrupellosen Menschenhändlerbande zu horrenden Preisen an Sadisten verkauft, die dann ihre krankhaften Fantasien an ihnen ausleben konnten. Die Gefahr, entdeckt zu werden, war gleich null. Die Frauen waren einfach weg, als hätte es sie nie gegeben. Ich musste an Olindo Grandis Worte denken: Wie leicht wird vergessen, dass wir ohne den anderen nicht sind.
Ich wollte gerade gehen, aber Totò Pertusiello hielt mich zurück.
»Warte. Wir sind beide übermüdet, da rutscht einem schon mal etwas raus. Die Frauen sind im Istituto Belvedere in Sampierdarena, zehn schwer bewaffnete Polizisten sind vor Ort. Dort sind sie sicher.«
Obgleich erst sieben Uhr morgens, war in der Questura schon einiges los. Von Dottoressa Ferlito jedoch war keine Spur. Pertusiello erzählte mir, dass auch ein russischer Mafiaboss in den Fall verwickelt sei. Dieser hatte |56| eine der Frauen illegal nach Italien geschleust und sie an die Trevisan-Brüder verkauft. Der Mann erschien gegen halb neun, in Begleitung seines Rechtsanwalts. Er sah aus wie ein sowjetischer Funktionär aus der Breschnew-Ära, massiger Körper, feistes Gesicht, es fehlte nur noch die Pelzmütze mit Ohrenklappen.
Um neun traf endlich die Staatsanwältin ein, eine hagere Frau um die fünfzig, deren biedere Kleidung sie aber weitaus älter erscheinen ließ. Sie war offenkundig fest entschlossen, hart durchzugreifen. Nachdem der Commissario uns vorgestellt hatte, gab sie mir flüchtig die Hand, komplimentierte mich aber gleichzeitig hinaus. Sie wollte mit Pertusiello allein sprechen.
Ich wanderte ziellos durch die Gänge. Hinter einer Tür hörte ich die schneidende Stimme Levreros, der gerade einen der Festgenommenen verhörte. Wahrscheinlich waren noch zwei weitere Beamte dabei. Ihre Taktik: Sie gaukelten dem Verdächtigen vor, ein anderer hätte ausgepackt und ihn als Kopf der Bande bezeichnet. Das Verhör wurde bisweilen von dumpfen Geräuschen und Schmerzensschreien begleitet.
Ich kehrte in den großen Raum zurück, in dem drangvolle Enge herrschte. Der Russe und sein Rechtsanwalt warteten noch immer. Der Anwalt strotzte vor Selbstsicherheit. Ein gut aussehender Mann um die sechzig, Menjou-Bärtchen, auffällig elegant gekleidet. Der Russe hingegen wirkte nervös und zappelig und schien ungeduldig auf den Beginn seiner Vernehmung zu warten. In diesem Augenblick erschien ein Beamter und bat die beiden, ihm zu folgen. Sie verschwanden in einem Büro. Nach einer halben Stunde kamen sie zurück, der Anwalt nach wie vor die Ruhe selbst, der Russe mit feuerrotem Gesicht. Unterdessen brachten zwei Polizisten den Mann herein, den Levrero in der Mangel gehabt hatte. Ein Auge |57| war geschwollen, er tupfte sich mit einem Taschentuch Blut von der Nase. Nun wurde der Anwalt von Gustavo Trevisan aufgerufen.
Schon kurze Zeit später war in Pertusiellos Büro die Hölle los. Der Anwalt drohte, Pertusiello drohte zurück und dazwischen war Dottoressa Ferlitos schrille Stimme zu vernehmen. Ich hörte Levrero drängen: »Los, Trevisan, sag ihnen, wie es war. Du wolltest fliehen und bist die Treppe runtergefallen. Mit den Handschellen konntest du dich natürlich nicht rechtzeitig abstützen.«
Die Zeit verrann und meine Hoffnung wuchs. Ich hatte den Eindruck, sie handelten etwas aus. Mildernde Umstände für Gustavo Trevisan gegen den Aufenthaltsort der entführten Frauen.
Am Kaffeeautomaten traf ich Ispettore Fois. Er schien im Stehen zu schlafen. Obwohl sie Celso Trevisan nach allen Regeln der Kunst unter Druck gesetzt hatten, war nichts aus ihm herauszubekommen gewesen. Ich bat ihn, Pertusiello Bescheid zu sagen, dass ich jetzt nach Hause gehen würde und er mich am Nachmittag anrufen solle.
Während ich meinen Gedanken nachhing und die Vergangenheit beleuchtete, klingelte das Handy. Die Nummer auf dem Display gehörte zu einem privaten
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