Bitteres Rot
meinst du damit?«
»Nichts, nichts«, wiegelte Dolores ab. Aber ihr Gesichtsausdruck sprach Bände.
»Von wegen! Raus mit der Sprache!«
»Warum regst du dich so auf, Tilde? Die kann dir doch egal sein.«
Hatte sie schon zu viel gesagt? »Heutzutage muss man aufpassen, was man sagt«, lenkte sie von sich ab. »Man muss nur irgendetwas behaupten und schon kann es einem Unschuldigen das Leben kosten.«
Dolores ließ sich nicht abbringen. »Ich behaupte gar nichts. Jeder weiß, dass sie mit den Deutschen gemeinsame Sache macht.«
»Dass man mit den Deutschen ins Bett steigt, heißt noch lange nicht, dass man für sie spioniert.«
»Was meinst du wohl, wer Sandra verraten hat, wer daran schuld ist, dass sie deportiert wurde?«
»Iolanda?«
»Wer denn sonst? Schließlich arbeiten beide in der Tabakfabrik.«
»Ja und?«
»Dieses Flittchen wurde nicht ohne Grund ins Büro versetzt. Von dort kann sie alles kontrollieren und an die Deutschen weitergeben.«
Noch zwei Tage bis Sonntag. Dolores’ Worte hatten Tilde aufgewühlt. Ungeduldig fieberte sie dem Ende der |70| Schicht entgegen. Kaum hatte sie die Fabrik verlassen, schwang sie sich aufs Rad. Sie musste unbedingt mit dem Comandante sprechen. Beißender Rauch aus den Fabrikschloten wurde über die Stadt geweht, stülpte sich wie eine graue Dunstglocke über die Häuser und verpestete die Luft. Sie versuchte es in der Via Paglia, aber der Comandante war nicht zu Hause. Dann bei Gaggero, vielleicht war er noch in der Arbeit. Auch dort hatte sie kein Glück. Schließlich fuhr sie zur Sanitätsstation von Sestri. Umringt von jungen Leuten kniete Olindo Grandi am Boden, um das Rad einer Tragbahre zu reparieren. Sie ging auf ihn zu und sagte: »Ich muss dich sprechen.« Die anderen sahen sie verblüfft an.
Dem Comandante war klar, dass etwas passiert sein musste. Er stand auf, griff nach ihrem Arm und zog sie nach hinten ins Büro. Er schloss die Tür und sah sie erwartungsvoll an.
Die Worte sprudelten aus ihr heraus. Sie berichtete von Dolores’ Verdächtigungen, aber auch von dem Eindruck, den Iolanda auf sie gemacht hatte. Insgeheim hoffte sie, dass Olindo sie beruhigen würde. Sie wollte hören, dass man sich auf diese Frau verlassen konnte. Aber Gewissheit hatte auch er nicht, Garantien waren in Zeiten wie diesen Fehlanzeige.
»Wer ist diese Dolores? Natürlich könnte sie recht haben. Wenn du nicht willst, dann musst du jetzt aussteigen.«
»Eine Kollegin. Aber sie ist mir völlig egal. Was ist mit Iolanda?« Tilde schluckte schwer. Olindo begriff, dass es nicht nur die Angst war, die sie zu ihm geführt hatte. Vielleicht war mit neunzehn die Möglichkeit, sich jemandem anzuvertrauen, sogar wichtiger als das eigene Leben. Deshalb antwortete er sanft: »Tilde, wenn ich mir nicht sicher wäre, hätte ich dich dann zu ihr geschickt?«
|71| Ein wenig Licht im Dunkel
Vor dem Krankenhaus verabschiedete ich mich von Pertusiello und griff nach meinem Handy. Endlich hatten wir Jasmine sehen dürfen. Vollgepumpt mit Schmerzmitteln und an Schläuche und Kabel angeschlossen lag sie da. Ohne die moderne Gerätemedizin hätte sie nicht überlebt. Der Chefarzt hatte uns freundlich und mit einem Hauch von Fatalismus erklärt, dass sie alles Menschenmögliche getan hätten. Ab jetzt brauche Jasmine einfach Glück. Und Zeit.
Ich rief Olindo Grandi an, um ihn davon in Kenntnis zu setzen, dass Balletta auf gar keinen Fall mit mir sprechen wollte. Er wusste Bescheid, sein Freund hatte ihn bereits angerufen, um sich zu beschweren.
»Wovor hat er Angst?«
»Vor allem und jedem, selbst vor seinem eigenen Schatten.«
»Hat er Nicla gekannt?«
»Nein, behauptet er jedenfalls. Du wirst wohl einen anderen Informanten brauchen.«
»Kein Problem, aber möglichst einen mit guten Nerven«, versuchte ich ihn ein bisschen zu provozieren.
»Balletta ist ein Sonderfall. Jede noch so kleine Veränderung in seinem Alltag wirft ihn aus der Bahn. Älterwerden ist grausam. Aber wenn ich dir einen Rat geben darf: |72| Wende dich an Lanza. Er ist vielleicht etwas spröde, aber er war dabei. Vielleicht kann er dir helfen.«
»Wo finde ich ihn?«
Er bat mich um etwas Geduld und legte den Hörer zur Seite, um Lanzas Telefonnummer herauszusuchen. Nach einer Weile meldete er sich wieder: »Das Alter, tut mir leid. Mein Gedächtnis ist auch nicht mehr das, was es mal war. Ich rufe Lanza an und gebe ihm Bescheid.«
Ich bedankte mich und speicherte die Nummer in meinem Handy. Dann ging ich zu
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