Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
Vom Netzwerk:
in Sestri geboren und aufgewachsen ist und dort auch meinen Vater kennengelernt hat?«
    »Nein, daran würde ich mich garantiert erinnern. Und wie war das Wiedersehen?«
    »Ich habe mit einem Comandante der Resistenza gesprochen. Dabei ist die Vergangenheit wieder sehr lebendig geworden.«
    »Dann stimmt es also: Du machst alten Männern das Leben schwer.«
    »Mein Klient ist todkrank, er hat mich inständig gebeten, seinen Bruder zu finden, den er noch nie gesehen hat. Nur, um ihm ein Vermögen zu hinterlassen.«
    |61| »Was heißt das im Klartext?«
    »Etwa drei Millionen Euro.«
    »Verfluchte Scheiße! Sag ihm, der verlorene Bruder bin ich. Für drei Millionen kündige ich bei der Polizei und lege mir eine neue Identität zu.«
    »Du? Du brauchst doch nur den Mund aufzumachen und schon weiß jeder, dass du nicht aus Sestri kommst.«
    »Den Genueser Dialekt kriege ich schon hin, ich mache einen Schnellkurs. Für drei Millionen lerne ich sogar Polnisch oder Chinesisch.«
    »Sollte ich ihn nicht finden, denke ich noch mal über dein Angebot nach.«
    »Warum so lange warten? Wir machen fifty-fifty!«
    Pertusiello liebte diese Spielchen. Er kokettierte gerne damit, ein Zyniker zu sein, noch dazu mit einer schwarzen Seele. Doch im Grunde war Totò eine ehrliche Haut, Wahrheit und Gerechtigkeit gingen ihm über alles. Er war ein Jäger und seine Ausflüge auf die andere, die dunkle Seite hatten ihm schon oft geholfen, die Gedanken der Gejagten zu lesen. Aber er war auch mein Freund und heute versuchte er mit seinen Spielchen von unserer Ohnmacht abzulenken. Doch es half nichts: Wir blieben zwei Männer, die nichts anderes tun konnten, als vor einer verschlossenen Tür zu warten.

|62| Zum Kaffee bei Iolanda
    Sestri Ponente, Februar 1944
     
    Iolanda erwartete sie um vier. Sie wohnte in der Via Cavagnaro, der alten Mönchsstiege zum Krankenhaus. Laut Olindo Grandi hatte sie die Möglichkeit, den Kontakt zu Hessen herzustellen.
    Iolanda hatte in der Tabakfabrik Karriere gemacht, von der Zigarettendreherin war sie zur Sekretärin befördert worden, was vor allem an ihren guten Deutschkenntnissen lag. Dass sie darüber hinaus mit den neuen Herren gut stand, war allgemein bekannt. In der Kommandantur in der Via Pagano Doria ging sie ein und aus. Sie war sogar Arm in Arm mit Hakenkreuz-Trägern gesehen worden. Aber selbst das hatte ihr nicht geschadet, denn Iolanda spielte ein doppeltes Spiel. Sie war, natürlich nicht ohne Gegenleistung, in die Büroetage aufgestiegen und es fehlte ihr an nichts: Fleisch, Eier, Käse – sie hatte alles, wovon andere nur träumen konnten. Aber gleichzeitig war sie eine glühende Patriotin, die den Partisanen wertvolle Informationen lieferte.
    Iolanda war fest entschlossen, in diesem schmutzigen Spiel zu den Gewinnern zu zählen. Um dieses Ziel zu erreichen, war sie zu allem bereit.
    |63| Sie war eine verführerische Frau: um die dreißig, grüne Augen, schmale Taille und sinnliche Hüften. Der freizügige Ausschnitt ihrer in der Via Ramiro Ginocchio maßgeschneiderten Seidenbluse ließ die Ansätze ihrer üppigen Brüste mehr als nur erahnen. Von dort stammten auch ihr elegantes Kostüm und das Wollcape. Dazu trug sie hochhackige Schuhe und Strümpfe mit Naht. Die kastanienbraunen Haare fielen in weichen Wellen bis auf die Schultern. Ihre Friseurin in der Via Garibaldi schwärmte immer, sie sähe aus wie ein Filmstar. Sie war nur dezent geschminkt: Lippenstift, Rouge, Kajal, alles in Maßen, dazu ein raffiniertes französisches Parfüm.
    Iolanda geizte nicht mit ihren Reizen und verstand es, die Männer um den Verstand zu bringen. Doch sie spielte mit dem Feuer. Freunde warnten sie immer wieder vor dem Neid und dem Hass, den ihr Lebenswandel hervorrief. Iolanda hörte nicht auf sie. Irgendwie würde es schon gut gehen, sie wollte ja niemandem schaden.
    Sie empfing Tilde mit den Worten: »Für das, was man im Krieg tut, braucht man sich nicht zu schämen.«
    Ihre offenen Worte brachen das Eis. Sie gab Tilde von Anfang an das Gefühl nicht allein zu sein: im Krieg gab es keine Moral.
    Iolanda trug einen flauschigen Bademantel aus Chenille. Auch ungeschminkt war sie eine schöne Frau. Sie bat Tilde herein: »Komm, am besten gehen wir in die Küche.«
    In der Küche brannte ein schwaches Feuer, aber Tilde behielt den Mantel lieber an. Iolanda legte einige Holzscheite und Briketts nach. Jetzt bullerte der Majolika-Ofen.
    »Ich soll dich also mit dem Hauptmann zusammenbringen«, sagte sie und nahm

Weitere Kostenlose Bücher