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Bitteres Rot

Bitteres Rot

Titel: Bitteres Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bruno Morchio
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eines Leuchters an. Das heller werdende Licht ließ aus der Schwärze des Raums einzelne Gegenstände hervortreten, Antiquitäten von unschätzbarem Wert. Es schien, als ob die Finsternis ihre Schätze nur demjenigen preisgeben wollte, der sie auch zu würdigen wusste. Damastbezogene Sessel und Sofas, eine edle Holzkonsole, eine wundervolle Kristallvitrine, ledergebundene Bücher, kostbare Teppiche und ein elegant geschwungener Konzertflügel. Im Laufe der Jahrhunderte angehäufter Luxus, der Tilde einschüchterte. Sie |87| wusste, dass sie in einer hochherrschaftlichen Villa stand, einst vielleicht im Besitz einer reichen jüdischen Familie, die sich hierher zurückgezogen hatte. Jetzt hatten sich die neuen Herren hier eingenistet.
    Tilde hörte, wie jemand das Haus betrat, die Tür schloss und den Korridor entlangging. Laute Schritte von Militärstiefeln knallten auf dem Marmorboden, bis sie plötzlich verstummten.
    Schlagartig wurde Tilde bewusst, dass es kein Zurück gab. Der Hauptmann öffnete die Vitrine und nahm eine Flasche und zwei Gläser heraus. »Möchtest du einen Cognac?«
    Tilde zögerte. Vielleicht wäre betrunken alles leichter zu ertragen? Am liebsten würde sie ihr Gehirn ausschalten und erst am nächsten Morgen wieder anknipsen. Dann würde alles vorbei sein. Aber sie musste ihre Pflicht erfüllen, mit allen Konsequenzen. Sie hatte den Auftrag, dem Deutschen den Namen der Verräterin zu entlocken. Diesen Auftrag würde sie erfüllen, um jeden Preis. Sie spürte, wie die Kälte an ihr hochkroch, und hüllte sich fester in ihren Mantel.
    »Frierst du?«
    »Ein bisschen.« Ihr Hals wurde eng.
    »Trink einen Schluck, dann wird dir wärmer.« In seiner befehlshaberischen Stimme lag ein Hauch Zärtlichkeit.
    Er füllte ihr Glas. Tilde kippte den starken Cognac in einem Zug herunter. Sofort brannte ihr Hals wie Feuer und ihr Magen revoltierte, fast hätte sie sich übergeben. Sie setzte sich auf das Sofa, die Arme verschränkt, die Knie zusammengepresst.
    »Walden heizt den Kamin im Schlafzimmer an, bald wird es uns warm werden.« Hessens brutale Offenheit riss sie aus ihrer Benommenheit.
    Seine Worte trafen sie wie ein Schlag. Sie ballte die Fäuste |88| und presste die Oberschenkel noch fester zusammen. Bloß nichts anmerken lassen.
    Die Stille, die nun folgte, war unerträglich. Tilde war wie gelähmt. Je länger sie dauerte, desto bedrohlicher wurde sie. Tilde versuchte die Situation zu entkrampfen.
    »Ist Walden auch Ihr Kammerdiener?«, fragte sie neckisch, konnte ihre Angst aber nicht überspielen.
    »Ein Adjutant ist ein Adjutant.«
    Hessen näherte sich von hinten und schnupperte an ihren frisch gewaschenen Haaren. »Du riechst gut. Hast du das französische Parfüm von deiner Freundin?«
    Tilde nickte. Plötzlich überkam sie ein bisher nie erlebtes Gefühl. Wohlige Wärme durchströmte ihren Körper. Vielleicht lag es am Champagner oder am Cognac, egal, ihre Angst war verflogen. Der Mann beugte sich über sie, sein warmer Atem streifte ihren Nacken. Alkohol- und rauchgeschwängert, aber nicht unangenehm. War das nicht Sünde? Doch dann dachte sie an Iolanda. Wie oft musste sie ganz ähnlich gefühlt haben. »Für das, was man im Krieg tut, braucht man sich nicht zu schämen.« Das waren ihre Worte gewesen, Worte voller Verständnis und Mitgefühl.
    Sie drehte sich langsam um und bot ihm ihre Lippen. Ganz instinktiv. In den irritierten Augen des Mannes, in denen sich das Kerzenlicht spiegelte, las sie eine verzweifelte Bitte. Die gleiche Traurigkeit, die ihr schon beim ersten Zusammentreffen aufgefallen war.
    »Was   …?«, flüsterte sie.
    »Du bist so jung«, murmelte er und strich ihr zärtlich über das Gesicht. Dann zog er sie an sich. Es folgte ein langer zärtlicher Kuss, ein Kuss, in dem mehr Schmerz als Verlangen lag.
    Als sie sich wieder voneinander lösten, sagte er bitter: »Bald wird das alles vorbei sein.«
    |89| Tilde sah ihn überrascht an, seine zweideutigen Worte beunruhigten sie. Er hatte das ausgesprochen, was sie sich am sehnlichsten wünschte. Warum verwirrte sie das so sehr? Weil dieser Satz ausgerechnet von einem Deutschen kam?
    »Das Morden und Sterben auf beiden Seiten geht weiter, alles ist so sinnlos.«
    »Ich verstehe nicht«, wagte sie zu sagen.
    Hessen erhob sich, nahm sich eine Zigarette und zündete sie an. Tilde spürte seinen Ärger, den er vor ihr verbergen wollte. Im Dämmerlicht tanzte die rote Glut der Zigarette nervös hin und her. »Lüg mich nicht

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